Sergio Mattarella – die Sphinx von Rom

von Redaktion

Italiens Staatspräsident kommt während der Regierungskrise eine mächtige Rolle zu

VON INGO-MICHAEL FETH

Rom – Jeder Italiener kennt diese Bildsequenzen: Die Delegationen der Parteien durchqueren den weiten Ehrenhof und steigen die prächtige Marmortreppe empor. In der „gläsernen Loggia“ erwartet sie das Blitzlichtgewitter der Fotografen. Dann öffnet sich wie von Geisterhand das von goldbehelmten Kürassieren bewachte Mittelportal. Die Politiker entschwinden den Blicken der Medien hinein ins Amtszimmer des Präsidenten.

Im Quirinalspalast, in dem einst Päpste und Könige residierten, herrscht strenges Protokoll. Das Staatsoberhaupt quasi als Zeremonienmeister der Republik. Wie maßgeschneidert wirkt diese Rolle auf Sergio Mattarella, den 78-jährigen Christdemokraten mit den schlohweißen Haaren und der randlosen Brille, der selbst im Sommer dreiteilige Anzüge trägt. Doch der Mann aus Palermo – dessen Bruder, einst Regionalpräsident von Sizilien, von der Mafia ermordet wurde – ist weit mehr als ein Ersatzmonarch. Für viele Bürger verkörpert er jenes oft beschworene „bessere Italien“, in dem Anstand und Gemeinsinn noch ihren Platz haben.

Auch politisch verfügt Italiens Staatschef über weitreichende Kompetenzen. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, sitzt dem Nationalen Sicherheitsrat vor und ernennt die höchsten Beamten des Landes. Wenn das Parlament keine Mehrheit zustande bringt, kann er eine Regierung seines Vertrauens berufen; das tat zuletzt sein Vorgänger Giorgio Napolitano auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2011, als er Silvio Berlusconi durch EU-Kommissar Mario Monti ersetzte.

Mattarella, ehemals Präsident des Verfassungsgerichts, agiert zurückhaltender, meist aus dem Hintergrund. Die Karikaturisten in Italien zeichnen ihn gerne als Sphinx. Das feine Florett des Juristen liegt ihm mehr als der politische Säbel. Gerade deshalb gilt er über alle Parteigrenzen hinweg als unbestechliche Autorität. „Ich bin so etwas wie der Schiedsrichter der Nation“, so titulierte er sich scherzhaft einmal selbst. Dem Land tut das in diesen Wochen der politischen Überhitzung gut. Auch in Berlin, Paris und Brüssel wird Mattarella als Ansprechpartner geschätzt. Dass der Streit mit der EU-Kommission ums Defizitverfahren im Frühjahr beigelegt werden konnte, bevor es an den Finanzmärkten zu Panik kam, ist großenteils seiner geheimen Telefondiplomatie zu verdanken. Entsprechend wird jeder Satz, jede Miene des Staatschefs von den Medien zerlegt und analysiert.

„Es ist wie beim Konklave. Alle warten auf den weißen Rauch“, so eine TV-Moderatorin, bevor Mattarella am späten Donnerstag erstmals seit Ausbruch der Krise vor die Presse trat. Zwei Tage lang hatte er sich geduldig die Standpunkte aller politischen Spitzen angehört. Ziemlich finster schaute er drein, als er den Parteien eine ultimative Fristverlängerung bis kommenden Dienstag einräumte; dann wolle er eine definitive Entscheidung fällen. „Es klang nicht so, als hätten PD und Movimento den Präsidenten von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugt“, fasst ein Beobachter aus dem Quirinal den Tenor zusammen. „Zu viele taktische Finten, zu wenig Pflichtgefühl. Es ist frustrierend.“

In der Tat hatten sich die beiden Parteichefs, Nicola Zingaretti (PD) und Luigi di Maio (5 Sterne), mit Vorbedingungen für Gespräche überhäuft. Der Flügel um Ex-Premier Matteo fürchtet gar, Zingaretti lege es auf ein Scheitern der Verhandlungen an. Am Freitag trafen die beiden Delegationen erstmals aufeinander. Ein erstes Abtasten, von Euphorie keine Spur. „Selbst bei einem Erfolg der Gespräche: Das Schwierigste für beide Seiten wird sein, die eigene Basis zu überzeugen“, schreibt die Zeitung „Il Messaggero“.

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