München – In der Lobpreisung eigenen Segenwirkens ist die Staatsregierung vor allem im Internet sehr aktiv. Umso misstrauischer konnte seit ein paar Wochen der Blick auf die Seite machen, auf der die Staatskanzlei ihren Plan präsentierte, bis zum Jahr 2030 alle Staatsschulden zu tilgen. Eine Fehlermeldung prangt da jetzt, dazu der Hinweis „Inhalt nicht gefunden“.
Kein Wunder: Der politische Inhalt ist verschwunden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat diskret in kleinen Runden und seit gestern auch offiziell das Tilgungsziel 2030 in Frage gestellt. Man werde weiter tilgen, sagte er vor Journalisten, „es würde aber eine sportliche Herausforderung, das bis 2030 komplett zu schaffen“.
Söder beerdigt das Ziel nicht offiziell, erklärt es aber als kaum erreichbar. Dem stellt er Milliarden-Investitionen in Forschung, Wissenschaft und Klimaschutz gegenüber, die er ab Herbst anstoßen will. Eine „Dekade der Forschung, des Wettbewerbs der Welt um die klügsten Köpfe“ werde es geben.
In der Landespolitik ist das ein Paukenschlag. Das Ziel 2030 war vor sieben Jahren von Horst Seehofer feierlich in die Welt gesetzt worden – als Ankündigung, dann als Gesetz. Der politische Erbe Söder trägt sich schon lange mit der Sorge, dass er das mit den aktuell hohen Ausgaben seiner Regierung nicht einhalten kann. In Gesprächen mit Ministern, der Wirtschaft und Forschern lotete er in den letzten Wochen aus, ob es einen Aufschrei im Land gäbe, wenn er das Ziel kippt.
Kein Aufschrei, aber vereinzelte Kritik. Die Junge Union bleibt bei ihrer Forderung, 2030 keinesfalls aufzugeben. Da droht parteiintern eine Machtprobe. Halblaut murmeln nämlich selbst gestandene Minister, man müsse wohl mittelfristig bei manchen Sozialausgaben wie Landespflegegeld, Baukindergeld oder Kita-Zuschuss sparen – sie befristen oder mit Einkommensgrenzen versehen.
Hinter Söder steht allerdings auch sein Finanzminister. Albert Füracker (CSU) sagt auf Nachfrage, er unterstütze Söder „bei seiner ehrlichen Analyse und den daraus folgenden Entscheidungen“. Niemand habe so viel getilgt wie Bayern, die Rückzahlung gehe weiter. Aber: „Zukunftsinvestitionen sind wichtiger als eine abstrakte Tilgungsdebatte bei Nullzinsen.“
Die Landtagsfraktion, sehr loyal zu Söder, schlug am Mittwochnachmittag keinen Alarm. Auch Josef Zellmeier, der Chef des mächtigen Haushaltsausschusses, sagt: „Der Abbau von Altschulden muss weitergehen. Über das Tempo bei den Tilgungen werden wir noch reden.“
Die Opposition kritisiert die Kehrtwende scharf. „In den letzten steuerstarken Jahren mit boomender Konjunktur wäre Gelegenheit genug gewesen, in zukunftsgerichtete Investitionen und Forschung zu investieren“, sagt die haushaltspolitische Sprecherin Claudia Köhler. Das 2030-Ziel aufzukündigen, sei nur Söders Ausrede, „weil diese Koalition trotz Rekordsteuereinnahmen mit dem Geld nicht auskommt“.
SPD-Fraktionschef Horst Arnold nennt Söder gar einen „Finanzgaukler“. Die CSU habe das Land getäuscht. In der Sache ist die SPD aber nicht gegen eine geringere Tilgung bei höheren Investitionen. Die FDP, die nach eigenen Angaben in den Haushaltsverhandlungen Sparvorschläge über 1,7 Milliarden Euro vorgelegt hat, bezeichnet Söder als freigebigen „Nikolaus“.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER