München – Kurz bevor der Stargast am Samstag seine geharnischte Rede hält, spielen die Veranstalter in Thüringen ein Video ab. Es ist ein Image-Filmchen, etwas länger als vier Minuten, und es geht natürlich um ihn: Björn Höcke. In dem Video joggt er in Zeitlupe durch den Wald, füttert Schafe und legt sein Kinn düster grübelnd in die geballte Faust. In Einspielern preisen ihn Parteifreunde in höchsten Tönen, dahinter läuft pathetische Musik. Es ist das Video eines Heilsbringers. So sehen sie ihn beim „Flügel“.
Die Gemäßigten in der Partei ließen den rechtsnationalen Höcke lange gewähren, doch jetzt scheint es ihnen genug zu sein. In einem gestern veröffentlichten Appell mit dem Titel „Für eine geeinte und starke AfD“ stellen sich gut 100 Abgeordnete und Funktionäre gegen den Thüringer. Dessen „exzessiv zur Schau gestellter Personenkult“ und die „spaltende Kritik am Bundesvorstand“, wie es im Appell heißt, haben offenbar das Maß des Erträglichen überschritten.
Die Unterzeichner finden sehr deutliche Worte: Mit seiner Rede beim oben erwähnten Kyffhäuser-Treffen habe Höcke „die innerparteiliche Solidarität verletzt und ist damit unseren Wahlkämpfern und Mitgliedern in den Rücken gefallen“. Anders als Höcke stehe man geschlossen hinter dem Bundesvorstand und den AfD-Schiedsgerichten. „Wir sagen sehr klar: Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei“. Der solle sich nun bitte auf seine Aufgaben in Thüringen beschränken.
Höcke polemisiert seit Monaten gegen die Parteiführung in Berlin, aber diesmal trieb er es wohl zu weit. Vor gut 800 „Flügel“-Anhängern wetterte er am Samstag gegen die „Spalter“ und platzierte Anspielungen auf seine Zukunft in der Partei. Der Wahl des AfD-Vorstands im November werde er sich „mit großer Hingabe und mit großer Leidenschaft“ widmen, sagte er und versprach: Der jetzige Vorstand werde „nicht wiedergewählt“. Das kam einer Kampfansage gleich.
Zu den Unterzeichnern des Appells gehören neben Bundes- und Landtagsabgeordneten auch Mitglieder der engeren Parteispitze: Schatzmeister Klaus Fohrmann etwa und die Parteivize Albrecht Glaser, Kay Gottschalk und Georg Pazderski. AfD-Chef Jörg Meuthen unterschrieb nicht, erklärte aber: „Dieser Aufruf wundert mich nicht.“ Er bestätige seinen Eindruck, dass Höckes Personenkult nicht zur Partei passe.
Der Appell wirkt wie ein Beschleuniger für den ohnehin offen entbrannten Richtungsstreit in der AfD. Höcke, so glauben viele Gemäßigte, versuche, die West-Verbände der AfD zu spalten und so peu à peu seinen Einfluss zu vergrößern. Die Zeichen sprechen dafür. Der Landesverband in NRW etwa besteht seit dem Wochenenden nur noch aus drei Personen, alle vom „Flügel“. Die Gemäßigten waren zuvor im Streit geflüchtet.
Auch in Bayern spitzt sich die Situation zu. Das hiesige AfD-Schiedsgericht hat Höckes „Flügel“ zur Konkurrenz für die Gesamtpartei erklärt. Das machte den Zwist zwischen Radikalen und Gemäßigten noch deutlicher. Vorläufiger Höhepunkt: die Strafanzeige mehrerer Abgeordneter gegen die eigene Fraktionschefin – und „Flügel“-Anhängerin – Katrin Ebner-Steiner. Manche rechneten schon bei der gestrigen Fraktionssitzung mit einem endgültigen Bruch. Dem Vernehmen nach blieb es aber ruhig.
Und in Berlin? „Es scheint, als suchten Meuthen und Höcke schnell den Showdown“, sagt ein bayerischer Landtagsabgeordneter. Das passt nicht allen, immerhin stehen im Herbst drei wichtige Wahlen im Osten an, bei denen die AfD 20 Prozent und mehr erreichen kann. Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel und der Chef der Jungen Alternative, Damian Lohr, forderten deshalb schnell Ruhe. Es dürfe keine „öffentlichen Schlammschlachten“ geben, heißt es in einer Erklärung. „Gräben aufzureißen, ist der falsche Weg.“
Höcke schweigt zu alldem. Stattdessen meldete sich gestern ein anderer „Flügel“-Mann zu Wort, Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz. Man werde sich mit der Kritik auseinander setzen, sagte er. „Und zwar dort, wo es hingehört, nämlich intern.“