Grüner Balanceakt

von Redaktion

Zwei Abgeordnete widmen sich kritisch dem Frauenbild von Migranten – die Partei reagiert kühl

München – Worum es geht, wird gleich im ersten Satz deutlich. Schon in der Überschrift des sogenannten Positionspapiers ist nicht nur von der „Zuwanderungsgesellschaft“ die Rede, die es zu stärken gelte. Sondern auch von „Frauenfeindlichkeit“, die dem Ziel im Wege stehe. Selten – zumindest bei den Grünen – ist so klar benannt worden, wie schwierig dieses Begriffspaar zusammenpasst.

Es mag keine radikale Umkehr sein, die die Abgeordneten Ekin Deligöz und Manuela Rottmann da anregen, aber auch als Aufforderung zur Kurskorrektur ist der Vorstoß bemerkenswert. Die Autorinnen schreiben von der „immensen Herausforderung“, Hunderttausende Flüchtlinge zu integrieren, und von den Schwierigkeiten. Man müssedeutlich fragen, „was für ein Frauenbild manche Gruppen haben, die zu uns kommen. Eines nämlich, das die Nichtachtung von Frauen bis hin zur Ausübung von Gewalt zu legitimieren scheint“.

Deligöz, Abgeordnete aus Neu-Ulm, und die Unterfränkin Rottmann schreiben von einer „ehrlichen Debatte“, die geführt werden müsse. Dieser subtile Hinweis richtet sich in erster Linie nach innen. Die unbequeme Diskussion darüber, wie problematisch das Frauenbild mancher Migranten ist und wie verstörend es auf eine freie Gesellschaft wirkt, haben die Grünen bislang bestenfalls zaghaft geführt. Im politischen Spektrum waren sie die Kraft, die vor allem die Chancen der Integration betonte, weniger die Risiken. In Wort und Tat waren sie geprägt von Offenheit und Toleranz, aber auch vom Bemühen, einen falschen Zungenschlag zu vermeiden und keine Ressentiments zu bedienen.

Die Politikerinnen weisen darauf hin, dass die große Mehrheit der Flüchtlinge nicht kriminell sei. „Gleichwohl“, fügen sie hinzu, „begehen vor allem junge Geflüchtete erhebliche Gewalttaten.“ Viele kämen „aus muslimisch geprägten Gesellschaften“, die patriarchalisch geformt seien und weder Aufklärung noch Frauenbewegung oder gar sexuelle Revolution erlebt hätten. Die Geringschätzung oder völlige Missachtung von Frauenrechten, die sich daraus zuweilen ergebe, sei nicht tolerierbar. Wer in Deutschland leben wolle, müsse sich von „herabwürdigenden Frauenbildern“ lösen. „Einen ,kulturellen Freischein‘ für Frauenfeindlichkeit gibt es nicht.“

Es ist in mehrfacher Hinsicht ein Balanceakt, den Deligöz und Rottmann bewältigen. Einerseits beziehen sie klare grüne Positionen, andererseits betonen sie „die volle Härte des Gesetzes“, wollen Gewalttäter in Deutschland vor Gericht stellen und nach einer Verurteilung die Duldung aberkennen. Sie äußern unverblümt Kritik am Verhalten mancher Migranten, grenzen sich aber gegen Avancen von rechts ab. Ihre Einwände würden für „Männer jeglicher Herkunft“ gelten. Der Hinweis ist auch deshalb wichtig, „weil in der Diskussion plötzlich Akteure ihr Interesse für die Belange von Frauen entdecken, die den Einsatz für Frauenrechte ansonsten als ,Genderwahn‘ lächerlich machen“.

In einer Zeit, wo sich auf Bundesebene neue Koalitionen abzeichnen und die Grünen immer breitere Schichten ansprechen, ist das Papier auch als Anstoß zu verstehen, sich programmatisch zu weiten und Denkmuster zu überprüfen. Irritationen bleiben da nicht aus. Heraus kam der Text am Dienstag, kurz nach der Fraktionssitzung in Berlin. In der Führungsetage soll die erste Reaktion kühl gewesen sein. Öffentlich fällt vor allem die Sprachlosigkeit auf. Weder Partei- noch Fraktionsspitze wollten sich bis Freitag äußern. Lediglich aus Bayern gab es Resonanz. Die Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze betonte, wie wichtig es sei, „überholte Gesellschaftsbilder“ zu bekämpfen. Das werde man „ebenso präzise wie differenziert tun“. MARC BEYER

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