„Die Entgiftung ist geglückt“

von Redaktion

Das Volksbegehren zum Artenschutz wird Gesetz. Die CSU ändert ihren Kurs in der Umwelt- und Agrarpolitik. Dass es dennoch nicht zum Bruch mit dem Bauernverband kommt, ist ein kleines Polit-Wunder.

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – In der schmucken Eingangshalle des Maximilianeums, direkt am roten Teppich, hebt ein Posaunenchor an. „Großer Gott, wir loben Dich“, schmettern die Bläser. Es ist Zufall, dass die evangelische Musikgruppe aus Franken just am Freitagnachmittag ein Ständchen gibt – aber die Stimmung im Landtag trifft das gerade haargenau: Dank, Lob, Erleichterung.

Zu den Klängen des 250 Jahre alten Kirchenlieds läuft Alois Glück über den Landtagsflur zur Pressekonferenz. Als Moderator nach dem Artenschutz-Begehren vermeldet er nun einen großen Erfolg: Die Initiatoren und ihre zornigsten Kritiker, vor allem der Bauernverband, haben einen Kompromiss (fast) fertig. Das Volksbegehren wird Gesetz, die härtesten Folgen für die Bauern werden vermieden oder ausgeglichen. „Die Entgiftung der Konstellation ist geglückt“, sagt Glück.

Ja, es war giftig zu Beginn, toxisch für Politik und Bauern. Als sich im Februar fast zwei Millionen Bayern in den Rathäusern für den Artenschutz eintrugen, drohte der CSU ein Debakel. Vielen galt der Vorstoß, verniedlicht als „Bienen-Volksbegehren“, als Abrechnung mit der Umweltpolitik der Staatsregierung. Der Bauernverband riet dringend davon ab. Ministerpräsident Markus Söder rutschte in ein Riesenproblem: Einzelne Anliegen kann seine inzwischen ökologischer ausgerichtete CSU mittragen, andere waren für die Landwirte inakzeptabel. Söders CSU hätte einen Alternativvorschlag gegen das Begehren stellen können – das wäre wohl von einer Mehrheit im Volksentscheid hinweggefegt worden.

Söder setzte also an zur steilen Wende. Er berief einen Runden Tisch ein, setzte auf Glück als Moderator und erkannte: Das Volksbegehren wird Gesetz, mit oder gegen die CSU. Dann lieber mit ihr – und mit einem Begleitgesetz der Staatsregierung, das juristische Feinheiten des ersten Entwurfs glättet. Die geforderten einheitlichen Termine beim Mähen und Walzen von Wiesen werden gelockert. Bei Streuobstwiesen gibt es strengere Regeln, aber mehr Förderung. Die Pächter von Staatsflächen werden nicht alle gezwungen, auf Öko umzustellen. Der Staat selbst verpflichtet sich aber zu noch weitergehendem Umweltschutz: zehn statt fünf Meter Blühstreifen an Gewässern, Straßen, Wäldern, weniger Pestizide, mehr regionales Essen in Kantinen, mehr Schulbildung über Lebensmittel und Landwirtschaft.

„Ein Volksbegehren mit dickem Plus“, sagt Glück. „Ich glaube, dass Markus Söder sehr gut realisiert hat, welche Eigendynamik dieses Thema bei den Menschen hat.“ Die Angst, „dass sich in der Natur Instabilität entwickelt“, habe er politisch aufgenommen. Glücks Worte sind kein Standard-Lobgehudel unter Parteifreunden, sondern haben Gewicht, weil er und Söder sich fachlich wie menschlich eher fernstanden. Hier der bedächtige Ex-Landtagspräsident, 79, aktiv im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, der gern von Wegstrecken (lang) und Wurzelgeflechten (tief) spricht – da der junge ungeduldige Ministerpräsident, der lang den Hang zu Schlagzeilen auslebte.

Auch diese Woche, auf den letzten Metern des Kompromisses, knirscht es. Am Montag sickern aus der Staatsregierung die Eckpunkte des „Versöhnungsgesetzes“ an unsere Zeitung durch: die Maßnahmen des Staates über das Begehren hinaus. Glück, dessen Runder Tisch noch läuft, ist verärgert und teilt das am Dienstag als Gast dem Ministerrat mit. Nicht laut, aber schneidend und klar, berichten Teilnehmer. Söder fügt sich, sagt anschließend vor den Kameras keinen Satz zu konkreten Plänen.

Was er Glück zu verdanken hat, weiß Söder sehr genau. Umgekehrt lobt der Oberbayer Söders Konzepte, auf Staatsflächen noch strengere Maßstäbe anzulegen: „Ein riesiges Potenzial. Einheitsgrün und aufgeräumte Landschaft ist genau das Falsche.“

Glück wird noch ein paar Wochen an Bord bleiben, die offenen Sonderfragen mit der Almwirtschaft will er persönlich klären. Ein Scheitern bis zur Landtagsabstimmung am 8. Mai gilt als sehr unwahrscheinlich. Wer die Beteiligten am Runden Tisch über Glück reden hört, fühlt sich eher an Strophe zwei des Kirchenlieds erinnert: „Alles, was dich preisen kann / stimmen dir ein Loblied an.“

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