München – Vordere Listenplätze sind eine schöne Sache – es sei denn, es geht um Steuern und Abgaben. Einer neuen Studie der Industrieländer-Organisation OECD zufolge gehört Deutschland zur traurigen Weltspitze. Arbeitnehmer müssen hierzulande so viel von ihrem Bruttolohn abgeben wie in kaum einem anderen Industrieland.
Demnach müssen alleinstehende Durchschnittsverdiener 39,7 Prozent ihres Gehalts abgeben – im OECD-Durchschnitt sind es nur 25,5 Prozent. Rechnet man den Arbeitgeberanteil an den Sozialausgaben mit ein, dann liegt die Abgabenlast sogar bei 49,5 Prozent. Italien, Frankreich und Österreich folgen mit knapp 48 Prozent. Vor Deutschland liegt mit 52,7 Prozent nur Belgien.
Familien bleibt zwar etwas mehr; im internationalen Vergleich ist die Belastung aber dennoch recht hoch. Hinzu kommt, dass Familien mit nur einem Berufstätigen unterm Strich besser wegkommen als solche, in denen beide Partner arbeiten. Das liegt am umstrittenen Ehegattensplitting, bei dem der Besserverdiener einen Teil seiner Steuerlast auf den Partner abwälzen kann.
Die OECD hat schon oft kritisiert, dass es sich für Zweitverdiener in Deutschland – meist Frauen – kaum lohnt, einen Job anzunehmen. Die Studie belegt das. So liegt die Abgabenlast für ein Elternpaar mit zwei Kindern bei 42,2 Prozent, wenn beide Partner arbeiten. Wenn nur einer arbeitet, werden nur 34,4 Prozent fällig.
Dass trotz hoher Abgaben und steigender Steuereinnahmen des Staates wichtige Investitionen lahmen – Stichwort: Verkehrsinfrastruktur, mobiles Internet, Bundeswehr – ist vielen ein Ärgernis. Kritiker sehen als Ursache ein Missverhältnis zwischen den besonders hohen Sozialausgaben und den Investitionen etwa in Infrastruktur. Tatsächlich plant der Bund, bis 2021 mehr als ein Drittel der Steuereinnahmen in Arbeit und Soziales zu investieren. Für Bildung, Verkehr und Infrastruktur sind nur etwa acht Prozent vorgesehen. Auch der Internationale Währungsfonds hat Deutschland unlängst erneut aufgefordert, mehr in Brücken, Schienen oder den Ausbau des mobilen Internets zu investieren.
Die OECD schaut indes sorgenvoll auf den Mittelstand – in Deutschland und weltweit. Die Forscher betonen etwa, die Mittelschicht profitiere deutlich weniger vom Wirtschaftswachstum als Wohlhabende. OECD-Generalsekretär Angel Gurría betont denn auch, Regierungen müssten „den Lebensstandard der Mitte schützen und verbessern“, um „nachhaltiges Wachstum und ein stabileres soziales Gefüge“ zu gewährleisten.
Um die Mittelschicht zu entlasten, schlägt die OECD unter anderem vor, Arbeitseinkommen weniger zu belasten und stattdessen höhere Steuern auf Einkommen aus Vermögen – also Kapital, Immobilien oder Erbschaften – zu erheben. Ähnlich sieht es im Übrigen auch das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW). Die Lohneinkommen in Deutschland würden „hierzulande relativ hoch belastet“, sagte Steuer-Experte Stefan Bach der „Welt“. MARCUS MÄCKLER