Stimmungstest für den Präsidenten

von Redaktion

Vor der Kommunalwahl hat der türkische Präsident Erdogan einen besonders aggressiven Wahlkampf geführt

Istanbul – Vor der Kommunalwahl am Sonntag hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen sehr aggressiven Wahlkampf geführt. Fast täglich hat er Reden gehalten, durchs halbe Land ist er getourt. Rund 57 Millionen Wahlberechtigte bestimmen am 31. März die Bürgermeister, Ortsvorsteher, Gemeinderäte und andere lokale Amtsinhaber in den 81 Provinzen. 13 Parteien stellen Kandidaten. Die wichtigsten sind die Regierungspartei AKP, ihr Bündnispartner, die nationalistische MHP, sowie die Mitte-Links Partei CHP, die pro-kurdische HDP und die nationalkonservative Iyi-Partei.

Die Macht der Erdogan-Regierung können die Resultate nicht direkt gefährden, denn nach den Wahlen 2018 hat Erdogan so viel Macht wie nie. Trotzdem ist die kommende Wahl wichtig.

Warum ist die Kommunalwahl wichtig für Erdogan?

Die Wahl ist ein Stimmungstest. Sollte die AKP schlechter abschneiden als bei den Kommunalwahlen 2014 würde das der Opposition und parteiinternen Kritikern Auftrieb verschaffen. Stimmenverluste könnten sogar die Regierungskoalition von AKP und MHP gefährden. Erdogan hat die Wahl hochstilisiert zum Kampf um Fortbestand oder Niedergang des Landes.

Abzulesen ist Erdogans Sorge an der Polarisierung des Wahlkampfs. Seine Gegner hat er dämonisiert als Terroristen, Kriminelle oder als „Unverschämte“ – unter ihnen Teilnehmerinnen einer großen Frauentagsdemo, denen er vorwarf, dass sie während des Gebetsrufs weiter gesungen und Slogans gerufen hätten. Die Kampagne sei gezeichnet gewesen von „nie da gewesenen Drohungen gegen Oppositionsführer und Kandidaten“, schrieb der regierungskritische Analyst Kadri Gürsel für „Al-Monitor“.

Wieso sorgt sich Erdogan?

Ein Grund ist die wirtschaftlichen Lage. Erdogan betonte in seinen Reden die Verbesserungen in der Infrastruktur unter seiner AKP. Aber die Türkei steckt seit Ende 2018 in der Rezession. Die Lira hat massiv an Wert verloren, die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb eines Jahres um rund eine Million und die Teuerungsrate um rund 20 Prozent. Die in der Türkei beliebten Auberginen wurden um rund 80 Prozent teurer. Die Regierung schob das auf gierige Händler und Manipulationen des Westens.

Wo wird’s spannend?

Spannend wird es in der Hauptstadt Ankara und der Metropole Istanbul. Beide werden seit mehr als 20 Jahren von Erdogans AKP oder ihren Vorgängerparteien regiert. In Ankara scheint CHP-Oppositionskandidat Mansur Yavas gute Chancen gegen den Kandidaten der AKP, Mehmet Özhaseki, zu haben. In Istanbul hat die AKP mit Ex-Ministerpräsident Binali Yildirim einen prominenten Spieler aufgestellt, die CHP den relativ unbekannten Ekrem Imamoglu. Hier sehen Umfragen eher den AKP-Kandidaten vorn.

Ist die Wahl fair und frei?

Daran gibt es Zweifel. Die Opposition bemängelt, dass es Tausende Geisterwähler gebe.

Oppositionsmedien meldeten außerdem Festnahmen von HDP-Politikern im Osten. Dort muss die HDP fürchten, dass gewählte HDP-Bürgermeister wieder abgesetzt werden. Erdogan hat das bereits angekündigt. Er wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Wahlbeobachter hatten schon nach den Wahlen 2018 kritisiert, dass die Kandidaten nicht die gleichen Chancen gehabt hätten, unter anderem wegen Einschränkungen bei Versammlungsfreiheit und Medien. An der Situation der Medien hat sich seitdem nichts geändert. Wähler hatten es schwer, an ausgewogene Informationen zu kommen. M. SCHMITT/L. SAY

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