Vatikanstadt – Er nennt sich „Führer aller Gläubigen“. Schon dieser traditionelle Ehrentitel der marokkanischen Monarchen zeigt, welche Bedeutung der bereits zweiten Reise des Papstes binnen weniger Wochen in ein Land der arabischen Welt zukommt.
Ende Januar hatte Franziskus bei einem interreligiösen Treffen im Emirat Abu Dhabi einen Durchbruch im Dialog mit den gemäßigten Sunniten erreicht. Gemeinsam mit dem Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, der höchsten theologischen Instanz der Sunniten, unterzeichnete er eine Erklärung, in der sich die beiden Weltreligionen volle wechselseitige Anerkennung zusprechen.
Was für westliches Verständnis selbstverständlich klingen mag, ist ein großer Schritt für die arabische Welt, wo Christen bislang oft als Staatsbürger Zweiter Klasse behandelt und an der freien Ausübung ihres Glaubens gehindert werden. Die Vereinigten Arabischen Emirate hingegen gelten als vorbildlich, andere Religionen können im Wesentlichen ohne Einschränkungen leben.
Ähnlich verhält es sich mit Marokko. Die Monarchie im Westen Nordafrikas ist seit jeher Heimat verschiedener Konfessionen: Die drei monotheistischen Weltreligionen – also Muslime, Christen und Juden – leben dort seit Jahrhunderten meist friedlich nebeneinander. Die Elite des Landes orientiert sich seit jeher an Frankreich; Frauen sind seit 2004 vollständig gleichberechtigt, Schleierzwang gibt es nicht. Per Gesetz sind Nicht-Muslime als Staatsbürger vor jeglicher Diskriminierung geschützt. „Wir sind der Islam der Zukunft“, erklärt König Mohammed V. selbstbewusst; ein moderner Herrscher, der in diesem Jahr sein zwanzigstes Thronjubiläum begeht.
Seit dem verheerenden Terroranschlag militanter Islamisten 2003 in Casablanca hat die Regierung des Landes unter seiner Führung alles getan, um Fanatikern das Wasser abzugraben. In der Hauptstadt Rabat wird Franziskus etwa die königliche Akademie für die Ausbildung von Theologen, Predigern und Imamen besuchen. Dort studieren tausende Sunniten aus dem Orient, Afrika und Europa eine aufgeklärte und liberale Auslegung der „Sunna“.
Pater Manuel Corullòn ist Kustode der Franziskaner in Marokko. „Auch die Muslime fiebern dem Besuch von Papst Franziskus entgegen“, erklärt der Spanier. Die ohnehin positive Haltung sei seit dem Abkommen von Abu Dhabi in echte Vorfreude umgeschlagen. Jetzt höre er oft: „Wir sind alle Brüder, wir glauben an den gleichen Gott, wir teilen die gleichen Werte, wir müssen zusammenstehen.“
Neben der großen Symbolik des interkulturellen Dialogs nimmt sich der Pontifex auch Zeit für die katholische Gemeinde Marokkos, eine typische „Kirche an der Peripherie“. Rund 30 000 Gläubige zählt sie, darunter viele Migranten, ihren Schwerpunkt hat sie im kosmopolitischen Casablanca. Im Stadion wird Franziskus als erster Papst in der Geschichte die Messe lesen. „Ich komme als Diener der Hoffnung“, ließ er sie vorab in einer Videobotschaft wissen.
Im Vatikan wird die Reise als Meilenstein einer diplomatischen Strategie gesehen: Den gemäßigten Islam umarmen, um den militanten Islamismus zu isolieren. Der Papst quasi als Global Player der internationalen Sicherheitspolitik. INGO FETH