München – Burnout, Depressionen oder psychosomatische Erkrankungen: Die Zahl der Krankentage wegen solch psychischer Probleme hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. Waren 2007 noch rund 48 Millionen Krankentage auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, waren es im Jahr 2017 rund 107 Millionen.
Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage weiter hervorgeht, haben sich die daraus resultierenden Ausfallkosten in diesem Zeitraum sogar fast verdreifacht – von 12,4 Milliarden auf 33,9 Milliarden Euro. In Bayern waren psychische Erkrankungen wie Depressionen 2017 laut DAK-Gesundheitsreport die zweithäufigste Ursache dafür, dass Arbeitnehmer im Job fehlten. Der größte Anteil der Krankmeldungen entfiel auf Muskel-Skelett-Beschwerden. Bei den psychischen Erkrankungen gab es zwar einen Rückgang bei den Fehltagen um sechs Prozent, aber die Anzahl der Betroffenen stieg auf 4,3 Prozent – ein Rekordwert.
Laut Arbeitsministerium stieg zwischen 2007 und 2017 auch die Zahl der Renteneintritte wegen psychischer Störungen deutlich an – von rund 53 900 auf mehr als 71 300 (rund 41 200 Frauen und rund 30 100 Männer). Damit sind psychische Störungen mit Abstand die Hauptursache, die zum Anspruch auf eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente führt. Knapp 43 Prozent aller neuen Rentenbezieher einer Erwerbsminderungsrente konnten wegen solch einer Diagnose nicht oder nur noch sehr eingeschränkt arbeiten, berichtete die Deutsche Rentenversicherung.
Die Bundesregierung sieht besonders die Arbeitgeber in der Pflicht: Gegen psychische Belastungen würden keine neuen Arbeitsschutzregeln helfen, zitieren die Funke-Zeitungen aus der Regierungsantwort. Ziel müsse sein, die Betriebe und Beschäftigte zu befähigen, das vorhandene Arbeitsschutz-Instrumentarium zu nutzen. Jutta Krellmann, arbeitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, kritisiert diese Haltung scharf. „Viele Arbeitgeber fahren auf Verschleiß: Starker Druck, hohe Flexibilität – immer schneller, immer mehr. Beschäftigte werden über ihre Belastungsgrenze getrieben“, sagte sie. „Die Bundesregierung schaut Däumchen drehend zu.“
Martin Keck ist der Klinikdirektor und Chefarzt des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in Schwabing sowie Vorsitzender des Münchner Bündnisses gegen Depressionen. Mit seinem Team behandelt er jährlich etwa 1000 Patienten stationär und viele weitere ambulant. Auch Keck macht die gestiegenen Zahlen an der veränderten Arbeitswelt fest. „Per E-Mail und Handy ist man ständig erreichbar, zudem müssen Mitarbeiter immer öfter rund um die Uhr reagieren.“ Und das gelte nicht nur für Top-Manager. Doch gleichzeitig sei es einfacher geworden, mit dem Chef oder Kollegen über psychische Beschwerden zu sprechen. „Früher haben sich viele Patienten ein Alibi für ihre Krankmeldung gesucht, beispielsweise Rücken- oder Kopfschmerzen, weil sie fürchteten, als psychisch labil oder nicht belastbar abgestempelt zu werden“, sagt Keck. Heute sei das Thema mehr im öffentlichen Bewusstsein. K. RIMPEL/A. BEEZ