London – Das britische Unterhaus hat im Brexit-Streit teilweise das Ruder übernommen. Gegen den Willen der Regierung wollen die Abgeordneten im Unterhaus in London auf eigene Faust eine Alternative für das zwei Mal abgelehnte Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May suchen.
Dafür hatten die Abgeordneten am späten Montagabend die Regel außer Kraft gesetzt, wonach nur die Regierung die Tagesordnung im Parlament bestimmt. Sie sicherten sich für heute eine Debatte und Abstimmungen über einen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse. Geplant sind richtungsweisende Abstimmungen, mit denen ausgelotet werden soll, für welche Alternative es eine Mehrheit gibt. Unklar war aber, über welche Optionen die Abgeordneten entscheiden sollen und in welchem Modus abgestimmt wird.
Als mögliche Optionen werden etwa verschiedene Varianten einer engeren Anbindung an die Europäische Union gehandelt: eine Mitgliedschaft in der Zollunion oder ein Modell nach dem Vorbild Norwegens, das zwar zum Binnenmarkt, aber nicht zur Zollunion gehört. Auch radikalere Vorschläge wie ein zweites Referendum, eine komplette Abkehr vom Brexit durch Zurückziehen der Austrittserklärung oder ein Austritt ohne Abkommen sind im Gespräch. Die Befürworter eines zweiten Referendums zeigten sich jedoch skeptisch, ob die Volksabstimmung auch zu den Optionen zählen sollte.
Ihr Brexit-Abkommen will die Premierministerin trotzdem noch nicht ganz abschreiben, wie die für Parlamentsfragen zuständige Ministerin Andrea Leadsom am Dienstag bestätigte. Mays Chancen dürften mit dem Griff des Parlaments nach der Macht sogar ein wenig gestiegen sein. Viele Brexit-Hardliner machen sich offensichtlich Sorgen, der EU-Austritt könne weniger konsequent ausfallen als bisher geplant oder sogar ganz abgesagt werden. „Die Wahl scheint Mrs. Mays Deal oder kein Brexit zu sein“, twitterte der erzkonservative Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg. Er hatte kürzlich noch davor gewarnt, das Brexit-Abkommen mache das Land zum „Sklavenstaat“ der EU. Ursprünglich sollte Großbritannien schon am Freitag die EU verlassen. Brüssel bot London aber eine Verschiebung bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist allerdings, dass das Unterhaus in dieser Woche dem Austrittsvertrag zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April.
May hatte am Montag eingestanden, dass sich noch immer keine Mehrheit für ihr Brexit-Abkommen abzeichnet. Daher wolle sie vorerst nicht erneut über das Vertragspaket zum EU-Austritt abstimmen lassen.