Dresden/Chemnitz – Die dunklen Haare sind akkurat gescheitelt und an den Seiten kurz geschoren. Alaa S. betritt den Gerichtssaal mit ernstem Blick. Vor dem Landgericht Chemnitz muss sich der 23-Jährige seit Montag wegen gemeinschaftlichen Totschlags verantworten. Mit einem weiteren, flüchtigen Beschuldigten soll er Ende August in Chemnitz Daniel H. erstochen haben. Doch die Beweislage ist aus Sicht der Verteidigung sehr dünn.
Der tödliche Messerangriff auf Daniel H. erschütterte nicht nur die sächsische Stadt, sondern schlug Wellen in ganz Deutschland. Er führte zu Demonstrationen und teils heftigen Ausschreitungen, schließlich reisten auch Bundespräsident Frank Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in die aufgeheizte Stadt.
So wie das Ereignis von Ende August droht auch der Prozess, der wegen des öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen am Oberlandesgericht Dresden verhandelt wird, zum Politikum zu werden.
Noch vor der Anklageverlesung stellt die Verteidigerin von Alaa S. einen Antrag, der auf eine mögliche Befangenheit der Richter abzielt. Anwältin Ricarda Lang will unter anderem wissen, ob die Richter an Kundgebungen der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung oder anderer rechter Organisationen teilgenommen haben und ob sie Sympathisanten der AfD sind. Eine weitere Frage betrifft die Einstellung zu Flüchtlingen. Lang sagt, ihr Mandant müsse wissen, ob ihm die Richter „unbefangen gegenüberstehen“. Schließlich entspreche ihr Mandant dem „erklärten Feindbild der Menschen, die die AfD und ähnliche Organisationen unterstützen“.
Zudem wittert die Verteidigung politischen Einfluss auf das Verfahren und verweist auf Äußerungen der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD). Die hatte sich vor Prozessbeginn in der „taz“ besorgt über einen möglichen Freispruch gezeigt. Sie bezog dies sowohl auf die Angehörigen als auch auf ihre Stadt, für die ein Freispruch „schwierig“ wäre.
Der Prozess muss nun die Frage beantworten, ob sich Alaa S., der 2015 als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland kam, des Totschlags schuldig gemacht hat.
Und hier gibt es einige offene Fragen. Laut Anklage ist Alaa S. dem mitbeschuldigten Iraker zu Hilfe geeilt, als der am Rande des Stadtfests mit Daniel H. in Streit geriet. Beide hätten mit Messern auf den 35-Jährigen eingestochen, heißt es in der Anklage. Daniel H. starb am Tatort.
Der genaue Tathergang und die Tatbeteiligung sind aus Sicht der Verteidigung unklar. Verteidiger Frank Drücke spricht von „eklatanten Ungereimtheiten“. So seien an einer gefundenen Waffe keine DNA-Spuren von Alaa S. entdeckt worden. Die Verteidigung sieht keine handfesten Beweise – und fordert die Einstellung des Verfahrens.
Auch der als erster Zeuge geladene Dimitri M., der bei dem Angriff selbst verletzt wurde, trägt nur wenig zur Aufklärung bei. Der Kraftfahrer berichtet, ein Mann „in heller Kleidung“ habe mit einem Messer auf Daniel H. eingestochen. Auch auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Simone Herberger und nach Vorlage von Fotos kann er den mutmaßlichen Messerstecher nicht identifizieren.
Die Mutter und die Schwester des Opfers folgen mit ernster Miene den Ausführungen. Wie Dimitri M. sind sie als Nebenkläger zugelassen. Das Gericht hat über 50 Zeugen geladen und will diese bis Ende Mai befragen. Bis zum 29. Oktober sind insgesamt 24 Verhandlungstage angesetzt. Nächsten Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. afp/dpa