Erdogan soll Trauzeuge sein

Özils Schmierenstück

von Redaktion

GEORG ANASTASIADIS

„Was ist nur los in diesem Land?“, empörte sich das Wochenblatt „Die Zeit“ im Sommer 2018. Gerade war Mesut Özil nach seiner heftig kritisierten öffentlichen Begegnung mit dem türkischen Präsidenten Erdogan aus Jogi Löws Fußball-Nationalmannschaft zurückgetreten, und das Blatt sah, ebenso wie manche Politiker von SPD und Grünen, deutschen Rassismus am Werk. Mit Özil, schrieb die Hamburger Wochenzeitung dramatisch, trete „der Glaube an eine progressive Gesellschaft zurück“. Sogar der Bundespräsident hatte interveniert und den Kicker zur großen Versöhnung ins Schloss Bellevue eingeladen.

Es war, wie sich nun zeigt, ein Schmierenstück, das Özil da aufführte: Dass er im Sommer 2018, mitten im türkischen Wahlkampf, mit Erdogan posierte, war mitnichten das behauptete „Missverständnis“ eines unpolitischen Fußballers. Sondern ein sorgsam inszenierter Kniefall vor dem Despoten, dem jetzt ein noch tieferer folgen soll, mit Erdogan als Ehrengast bei Özils Hochzeit. Stimmt, es ist ja wieder Wahlkampf am Bosporus.

Özil zeigt damit einmal mehr seine Verachtung für die Werte des Landes, in dem er aufgewachsen ist. Das ist enttäuschend, wäre aber nicht weiter schlimm, wenn er nicht ein Vorbild für viele andere Kinder und Enkelkinder von Türken wäre, die in den vergangenen Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind – und wenn seine Nähe zum Demokratieverächter in Ankara nicht so symptomatisch wäre. Nirgendwo genießt Erdogan so bedingungslose Verehrung wie unter den Deutschtürken. So gesehen hat die „Zeit“ unwillentlich doch die richtige Frage gestellt: Was ist nur los in diesem Land?

Georg.Anastasiadis@ovb.net

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