Rom – Ratspräsident Donald Tusk hatte sich das Brexit-Szenario so ausgemalt: Theresa Mays Abkommen scheitert im Unterhaus abermals. Weil letztlich niemand das Risiko eines ungeregelten Austritts auf sich laden wolle, würde London um eine Fristverlängerung von mindestens zwei Jahren nachsuchen. Der Brexit wäre erst mal auf den Nimmerleinstag verschoben, die Europawahl von schwerem politischem Ballast befreit. Die notwendige Zustimmung der verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten setzte er als selbstverständlich voraus. Eine gravierende Fehleinschätzung: Ausgerechnet Italien könnte sich verweigern.
Medienberichte aus Rom heizen entsprechende Gerüchte an. Danach dränge Vizepremier Matteo Salvini, Chef der rechtsextremen Lega, innerhalb der Regierung auf ein Veto gegen jegliche Fristverlängerung, die über den Juni hinausginge und damit Großbritannien zur Teilnahme an der Europawahl zwingen würde. Angeblich habe Salvini dem früheren Chef der europafeindlichen UKIP und Brexit-Hardliner, Nigel Farage, sein Wort gegeben. Der Lega-Chef und seine Umgebung schweigen dazu.
Italienische Zeitungen berichten, Salvini habe darüber bereits mit Koalitionspartner Luigi Di Maio von den 5 Sternen und Premier Giuseppe Conte gesprochen. Bei den Grillini stehe man dem Ansinnen nicht grundsätzlich entgegen. Das scheint glaubhaft, wäre es für die europafeindlichen Populisten eine willkommene Gelegenheit, in Brüssel mal wieder mächtig für Ärger zu sorgen.
Taktische Spielchen von Politamateuren oder steckt eine Strategie dahinter? „Ein schneller Abschied der Briten aus der EU hat für Italien eigentlich nur Vorteile“, sagt eine Abgeordnete des Movimento 5 Stelle. „Es zeigt, dass es auch ein Leben außerhalb der EU gibt und die Völker frei sind, sich zu entscheiden.“ Rom erhalte dadurch automatisch wieder mehr Gewicht in Brüssel. „Dort wird man sich künftig zweimal überlegen, ob man Italien schikanieren kann.“
Die Populisten wollen mit einem möglichen Veto ihre Muskeln spielen lassen. Und vielleicht ein Geschäft draus machen: Die Zustimmung Italiens gegen eine Lockerung der Spar-Auflagen – das wäre nach dem Geschmack von Salvini, Di Maio und Co.
INGO-MICHAEL FETH