Chemnitz hat ein Problem

von Redaktion

Vergangenes Jahr marschierten Rechte tagelang durch Chemnitz, zuletzt gedachten Fußballfans offen eines bekennenden Neonazis. Die Stadt ist ein Hotspot der rechtsextremen Szene und steht ein Stück weit für ganz Sachsen. Was ist da los?

VON MARCUS MÄCKLER

München – Vom Altchemnitz-Center (ACC) bis zum Michaelis-Friedhof sind es nur ein paar hundert Meter zu Fuß – weit genug, um Chemnitz in die Schlagzeilen zu bringen. Schon wieder. Dort, am ACC, versammeln sich gestern hunderte Menschen zu einem Trauermarsch: Hooligans und Neonazis, ein paar Fans des Fußballvereins Chemnitzer FC. Sie gedenken des verstorbenen Thomas Haller, der in der Szene bekannt war als einer der Gründer der Gruppe „HooNaRa“ – Hooliogans, Nazis, Rassisten. Hunderte Polizisten eskortieren den Zug.

Chemnitz, das 2025 Europäische Kulturhauptstadt werden möchte, kann solche Bilder eigentlich gar nicht gebrauchen. Schon vergangenes Jahr war die Stadt nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen (siehe unten) bundesweit in den Medien. Tagelang marschierten Rechtsextreme neben wütenden Bürgern durch die Innenstadt, griffen Flüchtlinge an, demolierten ausländische Restaurants. Der Streit um das Wort Hetzjagd kostete Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen den Job. Seither kämpft das bürgerliche Chemnitz um seinen Ruf und das Land mit der Frage: Wie rechts ist diese Stadt, wie rechts ist Sachsen?

Im Jahr der Landtagswahl drängt sich die Frage besonders auf. Die AfD, die vergangenes Jahr in Chemnitz demonstrativ mitmarschierte, kommt in Umfragen auf 25 Prozent und liegt nur vier Punkte hinter der CDU. Je stärker sie abschneidet, desto schwerer wird es für die etablierten Parteien, eine stabile Regierung zu bilden.

Dass Chemnitz ein Problem mit rechtsextremistischen Gruppierungen hat, ist nicht neu. „Es gibt seit Jahren verfestigte Strukturen solcher Gruppen“, sagt Hans Vorländer, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Sie setzen sich aus ehemaligen NPD-Kadern, Kameradschaftern und Mitgliedern von Kampfsportverbänden zusammen und sind äußerst gut mit der Hooliganszene des Chemnitzer FC vernetzt. Dass die Fans im Stadion eine Gedenkminute samt Choreografie für den verstorbenen Thomas Haller abhielten, wundert kaum.

„Es ist einer der Grundfehler der sächsischen Politik, diese Netzwerke lange Zeit nicht bekämpft zu haben, obwohl man genau wusste, dass es sie gibt“, sagt Vorländer. Das gilt nicht nur für Chemnitz, es gilt für ganz Sachsen. Überall im Freistaat gibt es Netzwerke, die sich leicht mobilisieren lassen. Das Problem: Mit den bürgerlichen Gruppen verhält es sich andersrum. „Sie lassen sich nur schwer dazu bewegen, gegen Rechtsextreme auf die Straße zu gehen“, sagt Vorländer. Das liege an mangelnder Partizipationsbereitschaft und dem hohen Anteil an Nichtwählern. Viele sind hier skeptisch gegenüber der Politik.

Es gibt ein zweites Problem: die Unzufriedenheit vieler Menschen. Viel stärker als im Westen nutzen die Sachsen quasi jede Form des Protests, um auf ihren Frust aufmerksam zu machen. Die Berührungsängste mit der rechten Szene scheinen dabei nicht so groß zu sein. Deshalb marschierte 2018 in Chemnitz womöglich auch der Normalbürger neben dem Neo-Nazi. Dem Normalo ging es eher um Protest – nicht um ideologische Übereinstimmung.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will jedenfalls nicht aufgeben. 2018 reiste er durch alle zehn sächsischen Landkreise und die drei kreisfreien Städte, um mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. Im Wahljahr macht er damit weiter, nächster Auftritt: Am 29. März im 14 000-Einwohner-Städtchen Frankenberg. Die Ochsentour lohnt, meint Politologe Vorländer. „Es ist wichtig, dass die Leute spüren, dass sich jemand kümmert.“

Trotzdem wird die AfD bei den Wahlen am 1. September stark abschneiden. Die CDU-SPD-Koalition wird mindestens einen, vielleicht zwei weitere Partner brauchen – AfD und Linke scheiden aus. Und klar ist auch: Gegen die rechtsextremen Netzwerke wird es mehr brauchen als ein paar Gesprächsrunden am Abend.

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