Vom Viehmarkt zum Polit-Spektakel

von Redaktion

Das ganz große Spektakel ist der Polit-Aschermittwoch nicht mehr. Das Format, heuer 100 Jahre alt, zieht aber noch immer tausende Besucher an. Vor allem die CSU steht vor einem schwierigen Tag.

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER UND CHRISTOPH TROST

München/Passau – Das waren noch Zeiten: Als Franz Josef Strauß beim politischen Aschermittwoch in Niederbayern am Rednerpult stand, schwitzend gegen Sozialisten und Kommunisten wetterte, unter Johlen des bierseligen Publikums. Lang ist’s her. Als „politisches Hochamt der CSU“ sehen die Christsozialen das zwar immer noch. Doch der Aschermittwoch von heute hat nicht mehr viel mit damals gemein.

Tatsächlich verbinden viele den Aschermittwoch mit CSU-Übervater Strauß. Kein Wunder, er trat zwischen 1953 bis zu seinem Tod 1988 insgesamt 35 Mal als Redner auf – als Generalsekretär, Bundesminister, Ministerpräsident, CSU-Chef. Bei Strauß ging es kräftig zur Sache. 1975 schleuderte er der SPD/FDP-Bundesregierung entgegen, sie habe einen riesigen „Saustall“ angerichtet.

Saustall? Die Historie des Polit-Aschermittwochs liegt im Viehmarkt. In Vilshofen lud der bayerische Bauernbund 1919 die um Tierpreise feilschenden, politisierenden Landwirte erstmals zu einer Kundgebung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kundgebungen von der Bayernpartei wiederbelebt, sie nutzte das zu deftigen Angriffen auf die CSU. Die stieg wenig später in die Tradition ein: Am 18. Februar 1953 lud die CSU zu ihrer Kundgebung: in den „Wolferstetter Keller“. Redner: Strauß.

Das Traditionslokal war viele Jahre die schwarze Heimat – und so proppenvoll, dass die CSU 1975 in die Passauer Nibelungenhalle auswich. „Vilshofen müssen wir jetzt denen überlassen, die es schwer haben, den kleinen Saal dort zu füllen“, spottete Strauß. Er meinte die SPD.

Heute ist der Aschermittwoch längst ein mediales Politspektakel, das kaum eine Partei auslassen kann. Die Orte wechseln. Die CSU ist seit Jahren in der gesichtslosen „Dreiländerhalle“, die notdürftig mit von der Parteizentrale ausgesuchten Transparenten verziert wird. Die SPD wiederum, bei der Landtagswahl dramatisch auf unter 10 Prozent geschrumpft, zieht diesmal in den Wolferstetter Keller. Offizieller Grund: zurück zu den Wurzeln. Inoffiziell: 80 000 Euro für die bisherigen Kundgebungen in einem 4000-Mann-Zelt sind zu teuer geworden. Im Keller ist jetzt noch Platz für 600.

Die Spannungskurve variiert von Jahr zu Jahr. Die Auftritte jenseits der CSU kranken oft an langen Rednerlisten und aus Norddeutschland eingeflogenen Politikern, die mit dem derben Format und knackigen Zitaten fremdeln. Auch die CSU-Qualität schwankt. Erfahrene Passau-Gäste denken gern an Strauß und die oft zweistündigen Reden des fuchtelnden Edmund Stoiber zurück; weniger gern an Horst Seehofer, der meist schwer erkältet anreiste – oder gar nicht. Der krachlederne Auftritt ist nicht seins.

Heuer reden der neue Parteichef Markus Söder und Europa-Spitzenkandidat Manfred Weber. Die Saalregie hat zwar Jubel-Plakate und sogar Weber-Schals organisiert. Doch ob die Euphorie echt ist, wird sich zeigen. Beide treten mit Ballast an. Für Weber ist die Rede im Fischsemmelmief ein Testlauf, ob er eine kernkonservative Klientel mit seiner klar proeuropäischen Linie begeistern kann. 35 Journalisten aus ganz Europa reisen genau deshalb in seine Heimat Niederbayern, der Aschermittwoch wird erstmals simultan auf Englisch übersetzt. Eher schlecht ins Konzept passt, dass gleichzeitig der Ausschluss des Ungarn Viktor Orbán aus der konservativen Parteienfamilie droht. Würde die Halle über Orbáns Flüchtlingspolitik abstimmen, gäbe es wohl eine breite Mehrheit für ihn.

Söder beherrscht den lauten Auftritt in Passau, 2018 bewies er das. „Die Zuwanderung hat in Deutschland alles verändert“, rief er damals in die Halle, „wer das ignoriert, der täuscht sich“. Inzwischen gibt er sich aber viel leiser, demütiger, landesväterlicher, redet weniger über Migration – ein Zielkonflikt in dieser Halle. Noch dazu klebt an ihm, dass seit 50 Jahren kein CSU-Chef mehr mit einem derart schlechten Landtagswahlergebnis vors Passauer Volk treten musste.

Er will den Spagat diesmal mit neuen Schwerpunkten schaffen: viel zum Thema Bundeswehr, Ruf nach besserer Ausstattung und Wertschätzung; außerdem mit Kritik am „Linksruck“ der SPD und dem Vorwurf an die Grünen, Ökologie der Parteitaktik preiszugeben.

Söder nimmt Passau sehr ernst, erarbeitete seine letzte Rede selbst handschriftlich und kümmerte sich um kleinste Details. Das war nicht mal bei Strauß so.

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