Macron schlägt Alarm in Europa

von Redaktion

„Seid keine Schlafwandler in einem erschlafften Europa“: Mit einem pointierten Beitrag will Frankreichs Staatspräsident Macron den Kontinent wachrütteln. Hat er Recht – oder will er nur ablenken?

VON JULIA NAUE

Paris – Mit seinem leidenschaftlichen Appell für einen „Neubeginn“ in Europa hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für Aufsehen gesorgt. In einem Gastbeitrag, der in mehreren europäischen Zeitungen erschien, hat sich Macron an die Bürger der EU gewandt und knapp drei Monate vor der Europawahl tief greifende Reformen gefordert.

„Wir dürfen nicht zulassen, dass die Nationalisten, die keine Lösungen anzubieten haben, die Wut der Völker ausnutzen. Wir dürfen nicht Schlafwandler in einem erschlafften Europa sein“, schreibt Macron. Jetzt sei es Zeit zu handeln, denn die Europawahl werde „über die Zukunft unseres Kontinentes entscheiden“. Anhand der Säulen von „Freiheit, Schutz, Fortschritt“ schlägt er einen Aktionsplan für Europa vor.

In Frankreich, wo der Präsident wegen der „Gelbwesten-Krise“ geschwächt ist, stoßen seine Vorschläge nicht nur auf Gegenliebe. Es sei viel bequemer, sich in einem permanenten Wahlkampf zu befinden, als ein Land und vor allem einen Kontinent wie Europa zu verwalten, sagte Robin Reda von den konservativen Republikanern. Die Rechtspartei Rassemblement National von Macrons Dauer-Gegenspielerin Marine LePen fordert angesichts der politischen Lage in Frankreich mehr Bescheidenheit. Macron sei letztlich nur ein „armseliger Verteidiger einer schwindenden EU“, heißt es.

Rechtskonservative Politiker in Frankreich werfen dem Präsidenten vor, in seinem Gastbeitrag Themen wie Migration auszusparen. Linke hingegen sehen einen Widerspruch zwischen seinen Ankündigungen und dem, was er tatsächlich tue.

Die Bundesregierung äußerte sich offiziell zurückhaltend. Dennoch bekommt der 41-Jährige aus Deutschland Unterstützung. Macron habe ein entschlossenes Signal für den Zusammenhalt in Europa gesetzt, erklärte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). „Wichtig ist, dass wir souverän und stark sind, damit wir in der Welt nicht herumgeschubst werden.“ Er sehe Berlin deshalb eng an der Seite von Paris, äußerte sich aber nicht dazu, welche Vorschläge er konkret unterstützt.

Auch die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner lobte, Macron rüttele Europa mit Reformvorschlägen „zum richtigen Zeitpunkt“ wach. Auch wenn sie nicht jeden Satz unterschrieben könne, stimme die Ambition. Der stellvertretende Vorsitzende der FDP im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff, äußerte sich ähnlich: „Auch wenn aus Sicht der FDP-Fraktion nicht in allen Punkten Einigkeit besteht, enthält der Beitrag viel Richtiges.“

Kritik kommt von der AfD. „Je größer die Probleme in Frankreich werden, desto mehr gibt Macron den Weltstaatsmann. Statt immer neue Visionen für die EU zu entwerfen und anderen Staaten Vorschläge zu machen, sollte Herr Macron sich zunächst lieber um Frankreich kümmern“, erklärte Parteichef Alexander Gauland.

Macron macht sich in seinem Gastbeitrag für einen strengeren Schutz der Grenzen stark. Er fordert, den Schengen-Raum neu zu überdenken, schlägt eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde vor. Gleichzeitig fordert er einen Europäischen Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens. Überhaupt reicht Macron rund drei Wochen vor dem möglichen Austritt der Briten aus der EU die Hand. Er spricht sich für ein Europa aus, in dem Großbritannien „einen vollwertigen Platz finden wird“. Bei den Austrittsverhandlungen hatte sich Macron hart gegen die Briten gezeigt.

Ebenfalls auf dem Zettel des Präsidenten stehen ein europaweiter Mindestlohn, eine Agentur zum Schutz der Demokratie und ein strengerer Umgang mit Unternehmen, die sich nicht an europäische Regeln halten.

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