Der schwäbisch-rabauzige Chefdiplomat

von Redaktion

Klaus Kinkel wollte nie Berufspolitiker sein, prägte aber als solcher über ein Jahrzehnt Deutschlands Geschicke

Berlin – Die Endlos-Sätze der bundesdeutschen Politik waren seine Sache nicht. Genauso wenig wie das Einerseits-Andererseits oder das Hätte-Wäre-Wenn. Klaus Kinkel gehörte zu den Leuten, die deutlich werden konnten, wenn sie etwas zu sagen hatten. Von allen Außenministern, die die Bundesrepublik bislang hatte, war er vielleicht der am wenigsten diplomatische. Jetzt ist der ehemalige FDP-Vorsitzende im Alter von 82 Jahren gestorben.

Bevor er Minister wurde, gehörte Kinkel lange Zeit zu den Spitzenbeamten der Republik. Den Regierungsapparat kannte er wie kaum jemand sonst. Trotzdem legte er großen Wert darauf, kein typischer Berufspolitiker zu sein. „Ich habe nie verborgen, dass ich eine offene und manchmal auch schwäbisch-rabauzige Art habe“, sagte er einst.

Eigentlich wollte Kinkel – geboren 1936 in Metzingen, in der schwäbischen Provinz – Arzt werden. Genau wie der Vater. Nach den ersten beiden Semestern an der Universität wechselte er aber zur Juristerei. 1964 machte er seinen Doktor, ging zum Staat, wurde 1970 von Hans-Dietrich Genscher (FDP) entdeckt. Die nächsten Jahre war seine Karriere aufs Engste mit Genscher verknüpft. Der Innenminister machte ihn zum persönlichen Referenten und Büroleiter. Zu Kinkels heikelsten Aufgaben gehörte es, dem SPD-Kanzler Willy Brandt ein Dossier zu übergeben, das die Nachrichtendienste über dessen Privatleben angelegt hatten. Der Inhalt trug 1974 dazu bei, dass Brandt zurücktrat.

Kurz darauf wechselte Kinkel zusammen mit Genscher ins Auswärtige Amt. 1979 sorgte Genscher dafür, dass Kinkel als erster Zivilist Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) wurde. Fast vier Jahre lang leitete er den Geheimdienst ohne größere Skandale. Kinkel bewies, dass er auch schweigen konnte. Dann zog es ihn zurück in den Politbetrieb, ins FDP-geführte Justizministerium. Zur gleichen Zeit traf ihn eine private Tragödie: Seine älteste Tochter starb mit 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall.

Als Staatssekretär und schließlich als Justizminister saß Kinkel an einer der Schaltstellen der schwarz-gelben Koalition von Kanzler Helmut Kohl (CDU). 1992, nach Genschers Rücktritt, beerbte er seinen Förderer im Auswärtigen Amt. Nicht ohne Drama: Erst in einer internen Kampfabstimmung setzte er sich gegen Irmgard Adam-Schwaetzer durch, die sich schon als erste Außenministerin gefühlt hatte. Das FDP-Klima war vergiftet.

Kinkel führte das Auswärtige Amt über sechs Jahre lang. Es waren die Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, die Jahre vor dem 11. September. Verglichen mit heute einigermaßen ruhige Zeiten. Später sagte er einmal: „Die Welt war damals nicht in Ordnung. Aber sie schien es zu sein.“ In seine Amtsjahre fielen zum Beispiel der Völkermord in Ruanda und das Massaker an 8000 Bosniern in Srebrenica.

Zwei Jahre lang stand Kinkel auch an der Spitze der FDP, zwischen 1993 und 1995. Nach einer Serie von Wahlniederlagen ließ er es nach einer einzigen Amtszeit aber sein. Kinkel – durchaus von einiger körperlicher Stärke und stolz darauf – wurde aufgerieben zwischen dem Stressjob im Auswärtigen Amt und den Machtspielen in der Partei.

Nach der Abwahl von Schwarz-Gelb saß er noch bis 2002 im Bundestag. Später arbeitete er als Anwalt. Ein paar Jahre lang war Kinkel auch Vorsitzender der Stiftung der Deutschen Telekom. Bis ins hohe Alter spielte er Tennis, ging laufen oder fuhr Ski. Zuletzt lebte er in Sankt Augustin bei Bonn. Nur selten noch gab er Interviews. Einmal aber sagte er etwas Bemerkenswertes: „Ich bin als Außenminister eher demütig geworden.“ CHRISTOPH SATOR

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