Mit dem Erzfeind über der Schulter

von Redaktion

Mauer-Streit überschattet Trumps Rede an die Nation – Ruft der Präsident im Konflikt mit Pelosi den Notstand aus?

Washington – Wenn Donald Trump heute Abend zur besten US-Sendezeit die traditionelle Rede zur Lage der Nation hält, wird ihm bei jedem Wort seine Nemesis über die Schulter schauen: Nancy Pelosi. Die Mehrheitssprecherin der US-Demokraten im Repräsentantenhaus wird direkt auf dem Podium leicht erhöht hinter dem Präsidenten sitzen, und die TV-Kameras werden jeden Gesichtsausdruck der beiden frischgebackenen Erzfeinde einfangen.

Die Spannung ist groß vor der Ansprache, die Präsidenten traditionell nutzen, ihre Erfolge vor dem versammelten Kongress vorzutragen und Leitlinien für das Jahr zu umreißen. Und die Frage aller Fragen lautet: Wird Trump vor Millionenpublikum auf seine Mauer an der Südgrenze zu Mexiko pochen – und den nationalen Notstand ausrufen? Mit diesem Schritt würde er die von Pelosi und anderen Demokraten strikt abgelehnte Finanzierung des Projekts selbst in die Hand nehmen.

Zudem droht in Kürze ein erneuter „Shutdown“ – also ein Herunterfahren wichtiger Regierungsverwaltungen, wenn nicht zügig ein Kompromiss für die Finanzierung des laufenden Haushalts gefunden wird. Ein solcher war bisher an der heiklen Mauer gescheitert, für die Trump 5,7 Milliarden US-Dollar haben möchte. Doch Pelosi und auch Senats-Minderheitssprecher Charles Schumer lehnen dies weiter strikt ab – obwohl beide noch vor fünf Jahren ebenfalls eine effektive Grenzbefestigung gefordert hatten. Das Reizklima für die Rede ist deshalb enorm – auch, weil Pelosi Trump gezwungen hatte, angesichts des damals noch anhaltenden „Shutdown“ die Ansprache vom 29. Januar auf heute zu verschieben. Ursprünglich hatte der Präsident beabsichtigt, sich trotz der Absage Zutritt zum Kongress zu erzwingen – doch dann auf eine solche Eskalation verzichtet.

Trotz dieser Negativschlagzeilen verspürt Donald Trump derzeit einen leichten Aufwind, den er auch in der Rede berücksichtigen dürfte. Die Ölpreise sind weiter gesunken und erleichtern Amerikas Autofahrern das Leben. Die Börsenkurse an der Wall Street haben sich von der Flaute im letzten Quartal 2018 erholt – Trump feierte sich in einer Twitter-Nachricht bereits selbst: „Der beste DOW für einen Januar in über 30 Jahren. Wir haben, bei Weitem, die stärkste Wirtschaft in der Welt.“ Gleichzeitig überraschten die Zahlen vom Arbeitsmarkt: Die Zahl der neu geschaffenen Jobs betrug letzten Monat 304 000 – Experten hatten lediglich eine Zahl um 170 000 erwartet.

Und: Eine gestern veröffentlichte Umfrage des Senders CNN sah Trumps Zustimmungsquote bei 40 Prozent. Das ist zwar im historischen Vergleich niedrig, doch immerhin besser als die 35 Prozent aus dem Vorjahr.

FRIEDEMANN DIEDERICHS

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