Grundsatzstreit um die Grundrente

von Redaktion

Heils Vorstoß wird heiß diskutiert – Expertenmeinungen gehen auseinander

München/Berlin – Was die öffentliche Wahrnehmung betrifft, ist der Grundrente-Entwurf von Hubertus Heil schon einmal ein voller Erfolg. Die Politik diskutiert aufgeregt. Und einen Tag nachdem der SPD-Sozialminister seinen milliardenschweren Vorschlag öffentlich gemacht hat, ist das Thema auch in der Chefetage angelangt. Sie verlange, „dass die Positionen des Arbeitsministers und des Finanzministers zusammengeführt werden“, ließ Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausrichten. Was so viel bedeuten dürfte, wie: Alles ganz schön teuer.

Was bisher geschah: In der „Bild am Sonntag“ hatte Heil seinen Grundrenten-Plan präsentiert, wonach Millionen Geringverdiener nach einem langen Arbeitsleben automatisch höhere Altersbezüge bekommen sollen. Kleine Renten sollen spätestens ab 2021 um bis zu 447 Euro im Monat aufgestockt werden. Zustehen soll die Grundrente allen, die mindestens 35 Jahre mit Beitragszahlung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit vorweisen können. Drei bis vier Millionen jetzige und künftige Rentner sollen profitieren. Heil rechnet mit Kosten in mittlerer einstelliger Milliardenhöhe pro Jahr, finanziert werden soll das aus Steuermitteln.

Die Kritik kam prompt. Die Grünen bezweifeln die Finanzierbarkeit des Konzepts, die FDP hält es für ungerecht und die Linke für noch viel zu geizig. Auch die Koalitionspartner sind skeptisch. Zwar reagiert der Arbeitnehmerflügel der CDU positiver auf Heils Konzept als andere Unionspolitiker. Doch (beinahe) alle kritisieren die fehlende Bedürftigkeitsprüfung.

In der Wissenschaft teilen sich die Meinungen. In Heils Vorschlag würden „zwei Dimensionen von Gerechtigkeit vermischt“, sagte Jochen Pimpertz vom Institiut der deutschen Wirtschaft Köln unserer Zeitung. Denn dem Entwurf liege die Ansicht zugrunde, dass jemand, der lange gearbeitet hat, mehr bekommen soll. Dabei werde jedoch außer Acht gelassen, dass die Rente selbst schon über die Entgeltpunkte eine Leistungsgerechtigkeit abbilde, die durch diese Grundrente verzerrt würde. Pimpertz warnt davor, auf diese Weise „Anreize zu verschieben“. Er schlägt stattdessen einen direkteren Weg vor: „Warum erhöht der Gesetzgeber nicht die Grundsicherung im Alter?“ Da die Grundsicherung mit einer Prüfung einhergeht, „konzentriert sie sich auf Bedürftige“.

Der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup begrüßt Heils Pläne hingegen im Grundsatz. Der Ansatz sei vernünftig, „denn er trägt den geänderten Bedingungen unseres Arbeitsmarkts Rechnung“. Das Rentensystem müsse darauf reagieren, dass sich die Bedingungen seit den 50er-Jahren gewandelt hätten. „Damals war die Lohnspreizung geringer als heute, Vollzeitbeschäftigung war die Regel, dauerhafte Teilzeitarbeit und durchbrochene Erwerbsbiografien faktisch unbekannt und Langzeitarbeitslosigkeit war vergessen.“

Dennoch habe Heils Entwurf Schwachstellen. „Es kann nicht sein, dass zum Beispiel die Ehepartnerin eines leitenden Ministerialbeamten, die bewusst dauerhaft nur Teilzeit gearbeitet hat, bei der Grundrente genauso behandelt wird wie ein Vollzeitbeschäftigter im Niedriglohnbereich.“ Wer die Grundrente in Anspruch nehmen wolle, solle deshalb auch nachweisen dass er „durchweg vollzeitig gearbeitet hat“, sagt Rürup. S. HORSCH, S. VETTER

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