Man kann über Gerhard Schröder einiges sagen – aber nicht, dass dem Altkanzler mit zunehmendem Alter der Unterhaltungswert abhanden gekommen wäre. Sein Interview im „Spiegel“ ist höchst lesenswert: Es deckt eindrucksvoll auf, woran es der SPD derzeit am meisten mangelt: an Typen, die das nötige Selbstvertrauen besitzen, dem Land eine Richtung vorzugeben. Und die bei Tempolimit oder Diesel eine klare Haltung haben, an der man sich auch reiben kann. Wie einst beim Autokanzler.
Doch die SPD weist dem Land nicht den Weg. Sie findet nicht einmal ihren eigenen. Auch dies macht Schröder deutlich – wenn auch eher unfreiwillig. Parteichefin Andrea Nahles, die ihn einst als Juso-Chefin unendlich nervte, watscht er als ungeeignet ab, der Nachwuchshoffnung Kevin Kühnert attestiert er ein schlampiges Äußeres. Dagegen dürfte sein Werben für die Wirtschaftskompetenz des biederen Olaf Scholz beim Wähler kaum Wechsel-Phantasien für die nächste Bundestagswahl hervorrufen. Und selbst, wenn Schröders Einschätzung von Sigmar Gabriel als „vielleicht begabtester Politiker“ seiner Partei richtig sein mag – die SPD würde eine Rückkehr des einstigen Vizekanzlers und Vorsitzenden förmlich zerreißen.
Schröders teils treffende Analysen haben ohnehin einen Haken: Sein Russland-Engagement und seine Putin-Nähe rauben ihm als Ratgeber deutscher Politik viel Glaubwürdigkeit. So bleibt mit Schröders Aussagen nur eine weiter geschwächte Vorsitzende und eine kriselnde Partei.
Mike.Schier@ovb.net