219a: Brüchiger Friede im Bündnis

von Redaktion

Nach monatelangem Tauziehen haben sich Spitzenvertreter der Bundesregierung auf eine Absichtserklärung zur Neuregelung des umstrittenen Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche geeinigt. Im Januar soll demnach ein Gesetzentwurf vorliegen.

VON STEFAN VETTER

Berlin – Kristina Hänel hatte den Stein ins Rollen gebracht. Im November des vergangenen Jahres wurde die Gießener Allgemeinmedizinerin wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen 219 a zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt. Nach dieser Bestimmung im Strafgesetzbuch muss sogar mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen, wer „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche macht. Im konkreten Fall reichte es schon, dass Hänel auf ihrer Homepage im Internet über die Möglichkeiten des Abbruchs informiert hatte.

Solche Urteile waren in der Vergangenheit keine Seltenheit. Hänel ging damit jedoch an die Öffentlichkeit. Und seitdem gibt es auch in der Großen Koalition Streit darüber, ob Ärzte, die auf Abtreibungen hinweisen, bestraft werden sollen.

Der von fünf Bundesministern ausgehandelte Kompromiss sieht nun vor, dass der Paragraf 219a beibehalten, aber um einen Passus ergänzt wird. Demnach sollen Ärzte und Kliniken über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Werbung für solche Eingriffe dürfe es aber auch in Zukunft nicht geben, erklärte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Die konkrete Ausformulierung dieses Spagats ist aber noch unklar. Details der Gesetzesergänzung sollen erst im Januar vorliegen.

Der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles war die erzielte Vereinbarung lediglich eine drei Zeilen kurze Pressemitteilung wert: Man freue sich über den Kompromiss und werde den genauen Gesetzestext im Januar „bewerten, beraten und darüber entscheiden“. Die Zurückhaltung hat damit zu tun, dass viele Genossen den Paragrafen 219a am liebsten abschaffen würden. In der SPD gibt es deshalb scharfe Kritik an der Koalitionseinigung. Zwar müsse ein Kompromiss ein Treffen auf halber Strecke sein, sagte die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF), Maria Noichl, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In dem „angeblichen Kompromisspapier“ werde der entsprechende Strafrechtsparagraf 219a aber nicht gestrichen, sondern nur verändert. „Dem können die SPD-Frauen niemals zustimmen“, stellte Noichl klar. „Wir kämpfen weiterhin für eine Streichung des Paragrafen 219a.“

Die SPD hatte dazu schon im Frühjahr einen Gesetzentwurf unterbreitet, die Vorlage dann allerdings aus Rücksicht auf den Koalitionspartner wieder zurückgezogen. Denn die Union pocht auf die Beibehaltung des Werbeverbots. „Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für die CDU überragende Bedeutung“, stellte die neue Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer klar.

Die Ärztin Kristina Hänel zeigte sich dagegen „entsetzt“ von den Regierungsplänen. Bei genauerem Hinsehen handele es sich um eine „Nullnummer“, weil die Strafandrohung komplett bestehen bleibe. Auch aus der Opposition kam Kritik. „Ungewollt schwangere Frauen müssen sich informieren können“, meinte Grünen-Parteivize Gesine Agena. Die Ärzte dürften daher nicht länger für ihre medizinischen Auskünfte „kriminalisiert“ werden. Neben den Grünen machen sich auch die Linken und die FDP für eine Streichung des Werbeverbots-Paragrafen stark. Die Große Koalition habe lediglich eine Ankündigung vorgelegt, im Januar eine Lösung zu präsentieren, sagte FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae. Das sei „nicht ausreichend“.

Bereits vor der Grundsatzeinigung der fünf Bundesminister hatten die Liberalen einen Antrag zur „unverzüglichen Streichung“ des Paragrafen 219a in den Bundestag eingebracht. Darüber sollte am späten Donnerstagabend abgestimmt werden. Als wahrscheinlich galt aber, dass Union und SPD die Vorlage kraft ihrer Mehrheit in die Ausschüsse überweisen würden, um einem neuen Koalitionskonflikt noch vor Weihnachten zu entgehen.

In Deutschland kommt es jährlich zu 100 000 Abbrüchen. Im ersten Halbjahr 2018 waren rund 52 000.

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