München – Der Ministerpräsident kam in Sack und Asche zur ersten Regierungserklärung seiner Koalition. Er bat vor versammeltem Landtag um Verzeihung, er verlas einen Brief, in dem sich Ex-Minister entschuldigen. Die Krise sei so groß, dass sie sogar einem „Lebensoptimisten“ wie ihm Angst mache.
Vor fast auf den Tag genau zehn Jahren war das. Horst Seehofer hatte die undankbare Aufgabe, in seiner ersten Regierungserklärung nach der Wahl das Landesbank-Desaster zu erklären, zehn Milliarden Euro neue Schulden, eines der düstersten CSU-Kapitel. Sollte Markus Söder in diesen Tagen nach Inspiration gesucht haben, wie er heute seine erste Regierungserklärung der neuen Koalition angehen soll – bei Seehofer schaut er gewiss nichts ab.
Söder muss einen eigenen Stil finden für seinen großen Auftritt am Mittag. Welchen Ton der Ministerpräsident zum Start der Legislaturperiode setzt, prägt die Arbeit von Parlament und Regierung. Ruhiger, moderater als im Wahlkampf will er sprechen, die Freien Wähler als Koalitionspartner einbinden. Anders als bei seiner Regierungserklärung im April, damals noch mit CSU-Alleinregierung, kann Söder auch kein 100-Punkte-Feuerwerk an milliardenschweren Maßnahmen abbrennen – Grundlage ist der Koalitionsvertrag.
„Bayern ist es wert“ wird die Überschrift sein zu Söders rund einstündiger Rede. Die Schwerpunkte klingen teils abstrakt: Föderalismus und ein positives Europabild; Familienpolitik; Digitales; Umwelt; dazu der Großkomplex Wohnen und Verkehr. Söder wird viel wiederholen, was im Vertrag mit den Freien Wählern ausformuliert ist: Familiengeld, Kindergarten-Zuschuss und 42 000 neue Betreuungsplätze zum Beispiel. Neu hinzu kommen kleinere Vorhaben. Die Koalition will zunächst mit Modellprojekten in großen Städten Kita-Busse ausprobieren: Eltern sollen entlastet werden, indem die Kinder von zuhause abgeholt werden, mit Betreuung schon im Bus. „Wir wollen den Elternstress in den Großstädten etwas reduzieren“, sagt Söder im Vorfeld. Wer mitzahlt – Staat und Kommunen sicher, die Eltern vielleicht, – soll erst später festgezurrt werden.
Auf Söders Rede folgt eine bis zu dreistündige Debatte. Die Opposition, gerade die Grünen, muss da für sich den Ton finden, wie aggressiv sie CSU und Freie Wähler angehen will. Die ersten fünf Wochen des Bündnisses liefen nicht spannungsfrei. Vor allem beim kleineren Partner knirscht es: Die Freien Wähler hatten mit Negativ-Schlagzeilen zu den „Regierungsbeauftragten“ und zur Flutpolder-Politik zu kämpfen.
Ende vergangener Woche äußerte die FW-Fraktion sogar offene Kritik an den eigenen Ministern. Fraktionschef Florian Streibl sagte dem BR, bei zwei Ministern – gemeint: Hubert Aiwanger und Michael Piazolo – brauche es offenbar Zeit, „bis sie sich in ihrer neuen Lebenswirklichkeit gefunden haben“. Bis Februar müsse die interne Kommunikation besser laufen. Abgeordnete klagten, dass Aiwanger bei der Fraktions-Weihnachtsfeier gefehlt habe. Der Vize-Ministerpräsident konterte mit Verweis auf sein Arbeitspensum.
Ihren internen Streit wollen die Freien Wähler Mitte dieser Woche beilegen, wenn Fraktion oder Fraktionsvorstand mit den neuen Ministern tagen. Streibl, der heute auf Söder antwortet, dürfte sich eher moderat äußern.
Unruhig dürfte es am Abend werden. Da wählt der Landtag verschiedene Gremien und Beiräte. Unter anderem dürfte es Ärger um den AfD-Kandidaten für das Parlamentarische Kontrollgremium geben, das den Verfassungsschutz beaufsichtigt.
CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER