„Es war mir eine große Freude“

von Redaktion

Am Ende zeigt sich die CDU mit ihrer Vorsitzenden versöhnt: Angela Merkel wird in Hamburg gefeiert. Und die kühle Taktikerin der Macht gewährt einen der ganz seltenen Einblicke in ihr Seelenleben.

VON MIKE SCHIER UND SEBASTIAN HORSCH

Hamburg/München – Angela Merkel hat noch kein Wort gesagt, als klar wird, wohin sich dieser Vormittag entwickelt. 18 Jahre lang führte sie die CDU – in politische Regionen, mit der viele in der Partei fremdeln. Ganz zum Schluss hat sie mit dem lautlos ausgehandelten Migrationspakt wieder einige verärgert. Aber jetzt, an diesem Morgen in Merkels Geburtsstadt Hamburg, will die CDU einen versöhnlichen Abschluss. Wenn sogar Horst Seehofer aus der Ferne ausrichten lässt, Merkel sei „die Beste“. Und: „Wir alle werden sie noch sehr vermissen.“ Dann muss der CDU-Parteitag ihr erst recht einen triumphalen Abschied bescheren.

Und trotzdem: Es ist kein Tag für sentimentales, unreflektiertes Schulterklopfen. Und daran hat die Kanzlerin selbst entscheidenden Anteil. Sie hält eine typische Merkel-Rede. Eine, bei der man zwischen den Zeilen lesen können muss. Sie erinnert an ihren ersten Parteitag vor 18 Jahren mit dem etwas sperrigen Titel „zur Sache“. Das sei ungewohnt gewesen, aber eben „typisch Merkel“, sagt Merkel. „Knochentrocken.“ Im Saal herrscht Heiterkeit. Doch die Vorsitzende bleibt ernst. Sie erinnert daran, wie sie die Partei auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre übernahm. Man habe damals „politisch, moralisch und nicht zu vergessen finanziell von dem Aus“ gestanden.

Nein, Merkel hält hier keine Geschichtsstunde. Ihre Anmerkung ist hochaktuell. Auf der Bühne schaut einer ganz angestrengt nach unten auf seine Unterlagen, obwohl ihn die Rednerin mit keinem Wort erwähnt. Wolfgang Schäuble. Ihr Amtsvorgänger. Der mit dem Geldkoffer. Zuletzt hat sich der heutige Bundestagspräsident öffentlich für Friedrich Merz ausgesprochen. Beide lieferten sich einen gönnerhaften Wettstreit darüber, wer Angela Merkel in jungen Jahren mehr gefördert habe. Jetzt kommt die Abrechnung. Der Saal klatscht. Schäuble starrt.

35 Minuten spricht die Kanzlerin. Es ist ihre Bilanz, eine Rechtfertigung ihres Führungsstils, der auf schnelle Schlagzeilen verzichtete. „Weil wir immer wussten, dass konservativ nicht von Konserve kommt, sondern davon, zu bewahren, was uns stark macht, und zu verändern, was uns hindert.“ 72 Wahlkämpfe hat sie so bestritten, sehr gute und – vor allem zuletzt – eher mäßige. Es gibt viel Beifall. Nur als sie ihre Flüchtlingspolitik von 2015 rechtfertigt, wird es etwas ruhiger. Dafür umso lauter, als sie sich von der AfD absetzt: „Wir Christdemokraten streiten, und zwar nicht zu knapp, aber niemals hetzen wir und machen andere Menschen nieder.“

„Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren“, sagt sie, „und auch nicht als Parteivorsitzende.“ Jetzt sei es an der Zeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Sie empfinde ein großes Gefühl der Dankbarkeit. „Es war mir eine große Freude. Es war mir eine Ehre.“

Die Noch-Vorsitzende verbeugt sich und geht zu ihrem Platz zurück. Dort atmet sie ein paar Mal tief durch, versucht die aufsteigenden Tränen wegzulächeln. Der Generalsekretärin gelingt dies nicht. Annegret Kramp-Karrenbauer muss sich die Tränen aus den Augen wischen. Spätestens jetzt wird offensichtlich, dass sie von den drei Nachfolgekandidaten der Kanzlerin am nächsten steht. Das hintersinnige Parteitagsmotto 2018 lautet: „Zusammenführen. Und zusammen führen“. So wird es jetzt kommen.

Neun Minuten lang klatschen die Delegierten. Es sind echte Emotionen. Alle wissen, dass gerade eine Ära zu Ende geht. Der Beifall ist herzlicher als die etwas albernen, vorbereiteten Schildchen mit dem Aufdruck „Danke Chefin“, wie sie bei Parteitagen inzwischen üblich sind. Doch irgendwann wird es Merkel zu viel. Sie geht zum Mikrofon. „Ich wollt nur sagen: Leute, denkt dran, wir haben heute viel vor. Es ist noch viel zu tun.“ Typisch Merkel.

Es ist am hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, die anschließende Dankesrede zu halten. Er zählt auf: Drei Päpste habe Merkel im Amt erlebt, zehn SPD-Vorsitzende und 24 Trainer des Hamburger Sportvereins. Als sie ins Amt kam, habe es noch die D-Mark gegeben, aber weder iPhones noch Facebook.

Dann überrascht er die Kanzlerin, als er sie zu sich ans Rednerpult bittet. Merkel zeigt kurz, warum so viele, die sie besser kennen, ihren Humor preisen. „Da hab ich schlechte Erfahrungen“, scherzt sie. Der CSU-Parteitag 2015, als Seehofer sie eine gefühlte Ewigkeit lang abkanzelte. Diesmal geht es harmloser ab: Merkel bekommt einen Taktstock von Kent Nagano geschenkt. Mit dem dirigiert sie aber nur noch im Kanzleramt. Zumindest eine Weile.

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