Happy End beim Brexit?

von Redaktion

Während sich die Brexit-Unterhändler in Brüssel aufeinander zubewegen, droht die wackelige Minderheitsregierung in London auseinanderzufliegen. Noch ist nichts entschieden. Diese fünf Szenarien sind denkbar.

VON V. SCHMITT-ROSCHMANN UND CHRISTOPH MEYER

Brüssel/London – Es war der Nikolaustag vor knapp zwei Jahren, als Brexit-Unterhändler Michel Barnier im Pressesaal der EU-Kommission erstmals vor die Journalisten trat. Stahlgrau und präzise setzte der frühere französische Außenminister seine Botschaft: Die Zeit sei knapp zur Klärung der Bedingungen des britischen EU-Austritts – im Oktober 2018 müsse man fertig sein.

Die Zeit ist da. Der EU-Gipfel nächste Woche soll die „Stunde der Wahrheit“ werden, wie Ratschef Donald Tusk es nannte. Und tatsächlich scheint ein Durchbruch plötzlich möglich in diesem schier unendlichen Scheidungsdrama. Aber selbst wenn es so kommt: Die Gefahr großer Verwerfungen beim Brexit wäre damit nicht vorbei. Selbst dann wäre ein chaotischer EU-Austritt am 29. März 2019 nicht ausgeschlossen. Vom „Tanz auf der Brexit-Klippe“ spricht der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza. Wie es ausgeht? Wagt heute kaum jemand zu sagen. Doch es gibt einige plausible Szenarien.

WENN MAN SICH EINIGT

Soll bis zum EU-Gipfel am Mittwoch wirklich der „maximale Fortschritt“ erreicht sein, muss am Brüsseler Verhandlungstisch noch viel passieren. Die EU will bis dahin eine Grundsatzeinigung auf den Austrittsvertrag, von dem Barnier seit Monaten sagt, er sei zu 80 bis 85 Prozent fertig. Zum offenen Rest gehört die knifflige Irland-Frage: Wie vermeidet man Schlagbäume und Kontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, die den militanten Konflikt dort neu entfachen könnten? Nun heißt es in Brüssel, es eröffne sich ein Ausweg. Die britische Regierung nähere sich dem Gedanken, ganz Großbritannien im Notfall in einer Zollgemeinschaft mit der EU zu lassen und die allernötigsten Kontrollen britischer Waren auf dem Weg nach Nordirland zu akzeptieren. Kommt es dazu, wäre der Weg womöglich frei für das Best-Case-Szenario: Bei einem EU-Sondergipfel Mitte November werden der Austrittsvertrag und eine „politische Erklärung“ zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien abgesegnet. Stimmen dann das Europaparlament und das britische Parlament zu, kommt nach dem 29. März eine knapp zweijährige Übergangsphase, in der sich praktisch nichts ändert für Bürger und Unternehmen. In der Zeit könnte man eine enge Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft aushandeln und fortan in guter Nachbarschaft leben.

WENN FAST ALLES GUT GEHT, ABER…

Der Idealfall ist deshalb so unwahrscheinlich, weil er die größte Unbekannte ausspart: Die britische Premierministerin Theresa May muss für das Austrittsabkommen eine Mehrheit im Parlament bekommen, und niemand kann sich zusammenreimen, wie das gehen soll. Die Idee, Großbritannien möglicherweise unbefristet in der Zollunion zu belassen, trifft auf heftigen Widerstand bei Brexit-Hardlinern aus Mays eigener Partei.

WENN ES SCHIEF GEHT IN WESTMINSTER ODER in BRÜSSEL

Die Premierministerin hat deutlich gemacht, dass die Parlamentarier in Westminster nur die Wahl zwischen ihrem Deal haben oder keinem. Das heißt: Die Abgeordneten stimmen entweder zu oder nehmen die Verantwortung eines chaotischen Bruchs auf sich. May erhöht den Druck und lockt zugleich mit der Übergangsfrist, die der Austrittsvertrag brächte.

MAN VERSUCHT ES NOCH EINMAL

Sollte eine Einigung jetzt wirklich scheitern, blieben allerdings immer noch mehr als vier Monate für die Suche nach Lösungen. Der Politikwissenschaftler Simon Usherwood von der Universität Surrey glaubt, dass noch bis Ende des Jahres Zeit wäre, um sich zu einigen. Selbst ohne Austrittsabkommen könnte man versuchen, mit Einzelvereinbarungen einige dramatische Auswirkungen – wie den Zusammenbruch des Flugverkehrs – abzufedern. Zölle und Kontrollen an den Grenzen wären aber wohl unumgänglich.

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