Berlin – Es ist eine Niederlage mit Ansage: Wenn Ralph Brinkhaus morgen gegen den langjährigen Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) antritt, hat der 50-Jährige wenig Chancen, dem Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Zepter zu entreißen. Und dennoch: die Tatsache, dass der seit fast 13 Jahren amtierende Kauder erstmals im Amt herausgefordert wird, lässt Rückschlüsse auf die Stimmung in der Fraktion zu – und auf den Rückhalt für Merkel.
Wochenlang hatte der eskalierende Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik im Frühsommer das politische Berlin in Atem gehalten. Zwischenzeitlich stand sogar der Bruch des Bündnisses der Schwesterparteien im Raum, was auch die Koalition mit der SPD zu Fall gebracht hätte.
Kritiker werfen Kauder vor, die Krise zunächst unterschätzt zu haben. Sie verweisen insbesondere auf eine Sitzung der Fraktion Mitte Juni, die für die Kanzlerin zum Debakel wurde: damals meldeten sich zahlreiche Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik zu Wort, während sich ihre Anhänger in Schweigen übten und die Kanzlerin ziemlich einsam erscheinen ließen. Zwei Tage später tagten die Abgeordneten von CDU und CSU in einer historischen Premiere erstmals getrennt voneinander im Bundestag und dokumentierten damit nochmals eindrucksvoll ihr Zerwürfnis.
Mit größter Not und angesichts des Schreckgespenstes möglicher Neuwahlen im Falle eines Koalitionsbruchs fanden Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer schließlich einen Kompromiss über die Zurückweisung von Flüchtlingen. Doch die dramatischen Tage und Wochen im Juni und Anfang Juli haben ihre Spuren hinterlassen.
Brinkhaus dürfte der nur mühsam beigelegte Konflikt innerhalb der Unionsfraktion in seinen Ambitionen bestärkt haben. In Interviews beschreibt sich der für Finanzfragen und Haushalt zuständige Fraktionsvize als „Brückenbauer“, wenn es unterschiedliche Meinungen gebe. Er wolle die Fraktion zusammenhalten, gleichzeitig aber auch unabhängiger von der Regierungschefin machen. Zugleich betont der Ostwestfale regelmäßig, es handele sich nicht um eine „Kampfkandidatur“ gegen Kauder. Damit versucht er auch den Verdacht von sich zu weisen, seine Bewerbung richte sich gegen die Kanzlerin.
Die hat wenig überraschend ebenso wie Seehofer Amtsinhaber Kauder zur Wiederwahl empfohlen. Kauder, der bei der letzten Wahl vor gut einem Jahr bereits einen deutlichen Dämpfer erhielt, gibt sich betont gelassen. Schließlich verfügt Brinkhaus, der seit 2009 für die CDU im Bundestag sitzt, weder über eine Hausmacht noch hat er prominente Unterstützer unter den 246 Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU. Trotzdem dürfte es spannend werden, wie viele Abgeordnete ihrer Unzufriedenheit mit Kauder und Merkel bei der geheimen Abstimmung Ausdruck geben und den Herausforderer wählen. Aus der CSU-Landesgruppe ist zu hören, dass zumindest bei einigen jüngeren Abgeordneten der Unmut über Kauder gewaltig ist.
Andererseits könnte die permanente Krisenstimmung in der „GroKo“, die mit dem Streit um Hans-Georg Maaßen jüngst erneut eskalierte, den Bewahrern des Status Quo in die Hände spielen. Bloß keine „Palastrevolte“ in solch unruhigen Zeiten, mögen sich viele Unionsabgeordnete denken.
Brinkhaus selbst gibt sich unverdrossen zuversichtlich, „ein gutes Ergebnis zu erzielen“. Er bekomme „von zahlreichen Fraktionskollegen positive Rückmeldungen“, sagt Brinkhaus. Ein Achtungserfolg könnte den bis vor kurzem noch weithin unbekannten Gütersloher für künftige Aufgaben empfehlen.