Zahlungen ins Ausland

Kindergeld-Betrug nimmt zu

von Redaktion

Von Georg Ismar

Berlin – Sören Link platzt der Kragen, wenn er die vermüllten Vorgärten in einigen Stadtvierteln Duisburgs sieht. „Wir haben rund 19 000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien in Duisburg, Sinti und Roma. 2012 hatten wir erst 6000“, sagt der SPD-Oberbürgermeister. Die Nachbarn fühlten sich „nachhaltig gestört durch Müllberge, Lärm und Rattenbefall“.

Es ist ein heikles Thema. Link sagt, Pauschalisierungen helfen nicht weiter, wegsehen aber auch nicht. Er sei ein großer Freund der europäischen Freizügigkeit. Aber die Idee, in einem anderen EU-Staat zu arbeiten und Geld zu verdienen, werde ad absurdum geführt, wenn im Windschatten eine Migration stattfindet, um üppige Sozialleistungen abzukassieren. Und neue Zahlen sind brisant. Link sagt, das Problem bringe die Bürger in Rage, die Bundesregierung müsse endlich auf EU-Ebene Reformen durchsetzen – er sieht Betrug in großem Stil.

Im Juni wurde für 268 336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der EU oder im europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt, wie ein Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagt. Ein Empfängerkreis, der der Einwohnerzahl Gelsenkirchens entspricht – und ein Plus von 10,4 Prozent im Vergleich zum Stand Ende 2017 (243 234 Empfänger). Die meisten ausländischen Kindergeldbezieher sind polnischer Herkunft, gefolgt von Kroatien, Rumänien und Tschechien (siehe Grafik).

Das ist ein Rekord. Betrügereien, die aus einigen Städten verstärkt gemeldet werden, beziehen sich zum einen auf Kinder, die möglicherweise im Ausland gar nicht existieren, und zum anderen auf Fälle im Inland, wo derzeit rund 2,7 Millionen Kinder ausländischer Herkunft Kindergeld beziehen. Einige der Neu-Duisburger kommen nicht, weil sie die Stadt so reizt, sondern weil sie das deutsche Kindergeld lockt. 194 Euro für die ersten zwei, 200 Euro für das dritte Kind, für jedes weitere Kind 225 Euro im Monat. Nach EU-Angaben beträgt das Durchschnittsgehalt in Rumänien 715 Euro brutto, das Kindergeld zwischen 18 und 43 Euro. Einen Kindergeldanspruch haben EU-Bürger grundsätzlich in dem Mitgliedstaat, in dem sie arbeiten. Das Beantragen ist einfach.

Man meldet sich in Deutschland mit einem Wohnsitz an und weist eine Beschäftigung nach. Dann geht die Meldung an die Familienkasse, die überprüft das Vorliegen von Kindern und zahlt das Geld aus. „Ob die Kinder in Deutschland leben, ob sie in Rumänien oder Bulgarien leben, ob sie überhaupt existieren, das ist dann noch mal eine ganz andere Frage“, sagt Link. Er spricht von oft gefälschten Geburtsurkunden oder Schulbescheinigungen. „Wir müssen den kriminellen Sumpf der Schlepper austrocknen, die Menschen in Rumänien und Bulgarien anwerben und hierhin bringen in Wohnungen, in denen wir selbst alle nicht leben wollen.“

Es sei zudem ganz oft so, dass der Vermieter auch der Arbeitgeber oder Scheinarbeitgeber sei. „Die haben das als Geschäftsmodell erkannt: sie vermieten zu horrenden Mieten Schrottimmobilien, die eigentlich nicht mehr bewohnbar sind, und der Staat zahlt Kindergeld und Sozialleistungen.“ Wie viel Geld am Ende davon die Banden dahinter einkassieren, das ist ein Dunkelfeld. Link muss sich für seine Aussagen vom Zentralrat der Sinti und Roma vorhalten lassen, rassistische Bilder zu benutzen. Das berge „die Gefahr von Gewalt gegen Sinti und Roma“, kritisiert der Vorsitzende Romani Rose. SPD-Chefin Andrea Nahles wiederum reagiert am Donnerstag schnell und will mit den Oberbürgermeistern betroffener Kommunen bei einem „Kindergeld-Gipfel“ am 27. September in Berlin Lösungen suchen. Das Thema ist Wasser auf die Mühlen der AfD.

Neben dem Vorgehen gegen Betrugsfälle will die Bundesregierung vor allem die Kosten von mehreren hundert Millionen Euro im Jahr für Kinder im EU-Ausland verringern. Und zwar durch Zahlungen, die sich an den Lebenshaltungskosten in dem Land orientieren, wo das Kind lebt. Doch Angela Merkel (CDU) konnte das auf EU-Ebene bisher nicht durchsetzen. Österreichs Regierung hat die sogenannte Indexierung im nationalen Alleingang beschlossen. Forderungen nach neuen EU-Regeln für Kindergeldzahlungen ins Ausland haben nach Einschätzung von EU-Diplomaten kaum Erfolgschancen.

Das Problem: In betroffenen Städten droht das Fundament eines versöhnlichen Miteinanders wegzubrechen. „Ich gebe es ständig in Düsseldorf und Berlin zu Protokoll und bitte um Abhilfe“, sagt Duisburgs Oberbürgermeister Link frustriert. Er hofft, dass nun etwas in Berlin passiert.

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