München – Als die Tragödie vorüber ist, rücken in Athen hunderte Menschen zusammen. In einer Mahnwache am zentralen Syntagma-Platz gedenken sie der mehr als 90 Opfer, die bei den Bränden im nahen Ferienort Mati ums Leben kamen. Im Kerzenschein verbindet sich Trauer mit Enttäuschung. „Wir müssen uns für die Toten einsetzen“, sagt ein Teilnehmer. „Der Staat existiert nicht, er schützt seine Bürger nicht und das kann so nicht weitergehen.“
Es ist Montagabend, kurz zuvor lässt sich Ministerpräsident Alexis Tsipras erstmals seit der Brandkatastrophe in Mati sehen. Er schüttelt Hände, dankt den Feuerwehrleuten. Aber vielen im Land kommt das zu spät. Heimlich sei er gekommen, „wie ein Dieb“, wettert die Opposition. Tatsächlich ist sein Besuch unangekündigt. Jetzt, eine Woche nach der Katastrophe, nehmen ihm die Griechen die Rolle des Krisenmanagers ohnehin nicht mehr ab.
Dazu besteht offenbar auch wenig Grund. Griechenlands Regierung steht wegen ihres schlechten Umgangs mit der Katastrophe seit Tagen in der Kritik. Gerade Tsipras macht dabei eine schlechte Figur. Zwar hat er die politische Verantwortung für die Waldbrandtragödie übernommen. Doch was das genau bedeutet, weiß niemand. Die Opposition sagt, ohne Rücktritt sei das eine leere Geste. Schon machen Vergleiche mit Kostas Karamanlis die Runde. Der konservative Regierungschef hatte sich nach einer schweren Feuerkatastrophe 2007 mit 69 Toten politisch nicht mehr erholt. Zwei Jahre später verlor er die Wahl.
Nächstes Jahr steht in Griechenland wieder eine Wahl an und die Frage ist, ob Tsipras, der sich bis dato geschickt durch alle politischen Probleme gekämpft hat, die jetzige Situation überleben wird. Vieles wird davon abhängen, wie die Regierung die nun offenen Fragen beantwortet.
Laut „NZZ“ hat die Nea Dimokratia einen ganzen Fragenkatalog an die Regierung gerichtet, die nun in doppelter Erklärungsnot steckt. Denn entscheidend sind zwei ungeklärte fragen. Erstens: Warum wurden am 23. Juli, jenem Montag, den die Feuerwehr schon als besonders risikoreich eingestuft hatte, keine Sicherheitsvorkehrungen für die Bevölkerung in gefährdeten getroffen? Und zweitens: Warum wurden die 20 000 Anwohner und Besucher von Mati nicht evakuiert, als das Feuer oberhalb Matis außer Kontrolle geraten war?
Bislang rechtfertigt sich die Regierung mit mangelnder Zeit. Angesichts von Winden mit einem Tempo von bis zu 120 Stundenkilometern, die das Feuer angefacht hatten, sei eine effektive Evakuierung schlicht nicht möglich gewesen, heißt es. Ob es überhaupt einen Plan zur Rettung gab, ist aber noch nicht geklärt.
Um ein wenig aus der Schusslinie zu geraten, sucht Tsipras die Schuld zum Teil in baulichen Sünden der Vergangenheit. Nicht ganz zu Unrecht. Auch Experten kritisieren, dass planerische Versäumnisse die Ausbreitung der Brände begünstigt hätten. Gebäude seien, teils ohne Genehmigung, zu nah am Wald errichtet worden, überdies fehle es an Zufahrten für Löschfahrzeuge.
Ob Tsipras das helfen wird? Bislang profitiert vor allem sein konservativer Widersacher Kyriakos Mitsotakis von der Nea Dimokratia. Als Tsipras am Montag nach Mati reiste, war Mitsotakis längst da. mmä/afp