Tunis/Düsseldorf – So gut wie niemand will Sami A. in Deutschland haben. Der Tunesier zählt nicht nur zu den islamistischen Gefährdern, denen Ermittler einen Terroranschlag zutrauen. Er soll auch ein Leibwächter von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden gewesen sein. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte Ende Juni im Bundestag: Man könnte sich nicht damit abfinden, „dass sich Leibwächter von bin Laden über Jahre hier aufhalten“.
Dass Sami A. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bisher nicht nachgewiesen werden konnte, ist inzwischen nur noch ein Randaspekt. Die verworrene Geschichte um seine – vielleicht rechtswidrige – Abschiebung ist Öl ins Feuer derer, die die deutsche Abschiebepolitik für zu lasch halten. Sie ist für Bürger verwirrend und für die Politik heikel.
Was ist passiert? Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) liegen seit Jahren im Clinch um die Abschiebung von Sami A.. 2014 hob das Bamf zum ersten Mal das Abschiebeverbot auf, weil sich die Menschenrechtslage in Tunesien verbessert habe. Die Justiz spielte nicht mit: Sami A. drohe in seiner Heimat „mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter“.
Vier Jahre später hat sich an den Argumenten nichts geändert. Das Bamf hob erneut das Abschiebeverbot auf, das Gericht sah weiter Foltergefahr. Vergangene Woche dann spitzt sich die Lage zu. Das Gericht will eine Zusage, dass ohne eine Entscheidung auch nicht abgeschoben wird. Stattdessen erhält es vom Bamf (nach eigenen Angaben) die Mitteilung, dass laut NRW-Flüchtlingsministerium ein für Donnerstag gebuchter Flug nach Tunesien storniert sei. Damit gibt sich das Gericht zufrieden.
Dann die Eskalation: Die Entscheidung, dass nicht abgeschoben werden dürfe, hinterlegt die Kammer um 19.20 Uhr am Donnerstagabend auf der Geschäftsstelle. Als von dort am Freitagmorgen um 8.10 Uhr das Bamf per Fax informiert wird, ist Sami A. bereits seit rund einer Stunde auf dem Weg nach Tunis. Sofort zurückholen, fordern die Richter. Aber Tunesien will Sami A. erst mal behalten und selbst ermitteln. Und die NRW-Behörden kündigen eine Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht an.
Lässt sich dieses Hin und Her den Bürgern noch vermitteln? Wohl kaum. Ein Blick auf die Großwetterlage der deutschen Politik lohnt trotzdem: Da ist ein Bundesinnenminister Horst Seehofer, der auch CSU-Chef ist und vor der Landtagswahl in Bayern mit einem harten Kurs in Asylfragen versucht, Stimmverluste an die AfD zu begrenzen. Da ist das ihm untergeordnete Bamf, das seit Jahren Negativ-Schlagzeilen produziert: Chaos, Fehlentscheidungen, Verdacht auf Bestechlichkeit.
Dazu kommt eine schwarz-gelbe Regierung in NRW, die ein politisches Desaster vermeiden will, wie es die rot-grünen Vorgänger im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri erlebt haben. Auch der war als Gefährder eingestuft, blieb aber in Deutschland. NRW führe „den Kampf gegen Extremisten entschlossen und mit allen Mitteln unseres Rechtsstaates“, betont der für Integration und Flüchtlinge zuständige Minister Joachim Stamp (FDP) immer wieder.
Der Verdacht liegt nahe, dass hier durchgegriffen werden sollte – womöglich voreilig. Dass ein Gericht die Politik dermaßen scharf zurückpfeift, ist Munition für die AfD: Der Fall zeige „in erschreckender Weise auf, wie sehr sich Behörden und Gerichte in Deutschland vom gesunden Menschenverstand entfernt haben“, wettert etwa Fraktionschefin Alice Weidel. Die SPD und der Großteil der Opposition im Bund, die sonst keine Gelegenheit zu Kritik an Seehofer auslassen, bleiben ruhig. Der Fall ist unangenehm – wer will schon in Verdacht geraten, einem Gefährder das Wort zu reden?