Rom – Großspurige Ankündigungen, wilde Drohungen, ruppiger Umgangston, mediale Dauerbeschallung, ungeahnte Volten, Sperrfeuer auf Verbündete, Unberechenbarkeit als politisches Prinzip: Auch anderthalb Jahre nach Amtsantritt von Donald Trump fällt es Europa und dem Westen schwer, sich an das erratische Verhalten des Herrn im Weißen Haus zu gewöhnen. In einem Punkt zumindest war man sich in Europa einig: Auf das vulgäre Niveau wollte man sich nicht herunterziehen lassen, der Stil sollte sachlich bleiben. Die Europäische Union quasi als politischer Gegenentwurf zum ungezügelten Populismus Trumps. Damit dürfte es vorerst vorbei sein. Der Trumpismus als Stilmittel der politischen Auseinandersetzung hat in Europa machtvoll Einzug gehalten.
Seit in Rom das seltsame Bündnis aus anti-europäischen Populisten und Rechtsextremen die Macht übernommen hat, ist ausgerechnet das EU-Gründungsland Italien zum ersten Vorposten der Trump-Doktrin geworden: „Ich zuerst, dann lange nichts.“ Die wüsten Verbalattacken des Scharfmachers Matteo Salvini, die Dramen um die Rettungsschiffe „Aquarius“ und „Sealife“, der Streit mit Paris, der „Zensus für Zigeuner“ – das alles war bereits ein Vorgeschmack. Wer in Brüssel oder Berlin darauf vertraut hatte, dass am Ende alles nicht so heiß gegessen wie gekocht werde, der könnte dieser Tage eines Besseren belehrt werden. Italien fährt jetzt den knallharten Kurs.
Im Gepäck für den Gipfel hatte Premier Giuseppe Conte die klare Order seiner Parteichefs Salvini (Lega) und di Maio (Movimento 5 Stelle), in den zentralen Punkten der Migrationspolitik knallhart zu bleiben und notfalls sein Veto gegen den neuen EU-Finanzrahmen einzulegen. Das drohte er unmittelbar nach der Landung in Brüssel auch offen an. Eine Blockade der Gipfelbeschlüsse zu Migration sei von ihm zwar nicht gewünscht, aber „eine Möglichkeit“. Doch der Forderungskatalog, den Conte seinen europäischen Kollegen vorlegte, ist aus Sicht deutscher Diplomaten kaum konsensfähig.
Dreh- und Angelpunkt darin ist ein völlig neuartiges, gesamteuropäisches Asylsystem, das den bisherigen Vertrag von Dublin ablöst. Grundlage dafür soll eine „Europäisierung“ der Außengrenzen sein. Für sie sollen künftig nicht mehr die Nationalstaaten, sondern die EU die Verantwortung tragen; und zwar über den Aufbau einer militärisch organisierten EU-Grenzschutztruppe mit zehntausenden Stellen. Zudem verlangt Rom die Schaffung gemeinsamer EU-Asylzentren in Drittstaaten und eine feste obligatorische Verteilung der Migranten unter den 27 Partnern.
Der Zeitplan ist ehrgeizig: Nach dem Willen der römischen Populisten soll dieses Paket möglichst noch unter österreichischem Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte auf den Weg gebracht werden. Diplomaten schütteln den Kopf und zerpflücken das Papier: „Völlig unrealistisch“. Der italienische Ansatz sei verständlich, aber „viel zu weitgehend“. Mehrheiten dafür seien illusorisch. Ein fester Schlüssel für die Verteilung der Flüchtlinge scheitere seit Jahren immer wieder. Und gegen eine Europäisierung des Grenzschutzes hätten einfach zu viele Mitgliedsstaaten Bedenken, da sie um ihre Souveränität fürchteten.
Bei Asylzentren im Ausland müssten zudem die betroffenen Länder mitspielen. Doch erst vor zwei Tagen hat der albanische Regierungschef eine entsprechende Idee des österreichischen Kanzlers Kurz abgelehnt: Man könne Migranten nicht einfach „wie Giftmüll einlagern“. Allein technisch wäre es gar nicht machbar, so diplomatische Kreise, ein derart ambitioniertes Projekt in den nur sechs Monaten Wiener Ratspräsidentschaft umzusetzen. Beharre Rom auf seinen sturen Positionen, sei eine Einigung beim Gipfel „undenkbar“.
Ende Juli wird Premier Conte auf Einladung Trumps zu einem offiziellen Besuch nach Washington reisen. Der hatte den Neuling für seinen rigorosen Migrationskurs erst kürzlich als „großartig“ gelobt: Conte sei „sehr stark hinsichtlich der Einwanderung“.