Brüssel – Angela Merkel hat die Ruhe weg, zumindest äußerlich. Die Hände zur Kanzlerinnenraute geformt dankt sie artig dem Gastgeber des sonntäglichen Brüsseler Asyltreffens, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Als wackle nicht daheim ihre Regierung, als säße ihr nicht Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Nacken, der mehr als eine Rechnung offen hat mit der Kanzlerin.
Doch das Ergebnis des Asyl-Sondertreffens bleibt sehr unkonkret. Für den deutschen Asylstreit verheißt das nichts Gutes. Wenn Merkel nicht liefert bis zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag und zum Beispiel andere EU-Länder überzeugt, Deutschland wieder leichter Migranten abzunehmen, will Seehofer deren Zurückweisung an der Grenze anordnen. Sie würde ihn wohl rauswerfen, was das Ende der Koalition bedeuten dürfte.
Ganz davon zu schweigen, dass ein deutscher Alleingang die europäische Zusammenarbeit in Asylfragen aufs Spiel setzen würde: Wenn Deutschland mit der Zurückweisung von Migranten begänne, würden wohl andere folgen. Wenn andere folgten, würden Länder wie Italien die Ankömmlinge kaum noch registrieren.
Einer, der mindestens ebenso eifrig wie Merkel den Elefanten im Raum wegredet, ist Luxemburgs Premier Xavier Bettel. „Es geht hier nicht um das Überleben einer Kanzlerin!“, wehrt er ab auf die Frage eines Journalisten, sondern um europäische Lösungen. Merkels französischer Verbündeter Emmanuel Macron warnt die Europäer vor dem Abgrund: „Wir haben Werte. Sie haben uns geformt und jedes Mal, wenn wir sie verraten haben, haben wir Schlimmeres verursacht.“
Doch nicht jeder ist so alarmiert. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der sich bestens versteht mit Seehofer, ist ganz angetan von der „gewissen Dynamik“ der Situation. Die Begrenzung der Migration sei ja inzwischen das gemeinsame Ziel. „Und allein das ist schon Bewegung genug“, sagt Kurz und kann sich eine Spitze nicht verkneifen: „2015 war das nicht so.“
Italiens neuer Regierungschef Giuseppe Conte hat ein Papier mitgebracht, das einen „radikalen Wandel“ einläuten soll. Die Dublin-Regelung, nach der Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst innerhalb der EU betreten, will er abschaffen. Flüchtlinge will er in „Schutzzentren“ in Transitländern unterbringen, sodass sie gar nicht erst nach Europa kommen. Ganz neu ist das alles nicht und sein Nachbar im Osten, Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras, lässt das auch deutlich durchblicken. „Was ist der italienische Plan?“, fragt er lachend und fügt dann etwas ernsthafter an: „Ich denke, die meisten dieser Vorschläge waren Vorschläge, die wir schon versucht haben umzusetzen.“
Es deutet alles auf Abschottung hin: eine Aufrüstung der EU-Außengrenzen und die Einrichtung von Asylzentren jenseits der EU. Doch selbst wenn sich die EU-Staaten noch in dieser Woche auf Schritte in diese Richtung einigen sollten – was für Europa und die europäische Idee folgenreich wäre – ob Merkel das am Ende hilft, ist fraglich.
Die CSU triezt sie bekanntlich wegen einer anderen Sache. Seehofer geht es um Schutzsuchende, die erst in einem anderen EU-Land um Asyl bitten, dann nach Deutschland weiterreisen und hier erneut Asyl beantragen. Diese Menschen will er an der Grenze abweisen. Und zwar notfalls im nationalen Alleingang. Wie genau das praktisch gehen sollte – ob er zum Beispiel flächendeckende Grenzkontrollen anstrebt, damit es nicht nur Zufallstreffer gibt – all das verrät Seehofer nicht.
Die CSU bangt um die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl im Oktober und fürchtet die AfD. Und dass die CSU-Spitze nicht sonderlich mit Merkel und ihrem Kurs harmoniert, ist bekannt. Auch in Merkels Umfeld haben manche den Eindruck, die CSU wolle die Kanzlerin fast um jeden Preis aus dem Amt hebeln. Egal, was sie tut.