Interview mit einem „Kurzzeit-Toten“

„Ich wollte nichts als überleben“

von Redaktion

Von Boris Reitschuster

Kiew – Unser Treffen mit dem Journalisten findet an einem unauffälligen, menschenleeren Treffpunkt außerhalb von Kiew statt – unter höchst konspirativen Umständen. Mit großer Verspätung fährt ein Jeep mit getönten Scheiben vor. Der Beifahrer sieht sich vorsichtig nach allen Seiten um. Erst nach einer Weile steigt er aus und öffnet die hintere Tür. Auf der Rückbank sitzt Babtschenko. Sein Gesichtsausdruck ist bleich. Sein Händedruck schwach. Der groß gewachsene Kriegsveteran wirkt kraftlos. Angeschlagen. Eingeschüchtert.

„Ich hatte Angst um mein Leben“, sagt Babtschenko: „Alle im Westen, die mir jetzt vorwerfen, ich habe journalistische Standards verletzt, frage ich, wie sie sich in meiner Situation verhalten hätten – wenn sie der Geheimdienst vor die Wahl gestellt hätte, entweder mit ihm zusammenzuarbeiten – oder sich abschießen zu lassen.“ Es sei schließlich nicht nur um seine Sicherheit gegangen, sondern auch um die seiner Frau und seiner Tochter.

Die ukrainischen Behörden hätten auf der Mord-Inszenierung bestanden. Sie hätten ihm versichert, dass nur so die Auftraggeber dingfest zu machen und weitere Morde zu verhindern seien. Babtschenko erzählt Details. Aber er bittet, sie nicht zu schreiben, und zieht die Augenbrauen zusammen: „Ich musste den Ermittlern zusichern, dass ich mich nicht äußere zur Sache, zu Details, weil die Ermittlungen noch laufen, und weil die gefährdet werden könnten, wenn ich etwas erzähle“. Bald, so verspricht er, könne er alle Hintergründe aufdecken.

Darauf angesprochen, dass er jetzt für viele im Westen ein Buhmann sei, reagiert Babtschenko mit einem Kopfschütteln – und Schweigen. „Ich wollte nichts als überleben“, sagt er nach einer Weile und schüttelt den Kopf. Dann entschuldigt er sich. Bei allen, die getrauert hatten um ihn und sich danach getäuscht fühlten. Babtschenko, der in beiden Tschetschenien-Kriegen als russischer Soldat kämpfte, war schon immer wortkarg. Jetzt ist er noch schweigsamer geworden. Mit seinen Augen scannt er die Umgebung. Er kommt kaum noch raus. Weil ihn die ukrainischen Behörden für stark gefährdet halten, gelten strengste Sicherheitsmaßnahmen. Nach einer Weile machen seine Beschützer höflich darauf aufmerksam, dass es Zeit sei, weiterzufahren. Zum Abschluss gibt es noch einmal einen kraftlosen Händedruck.

Während Babtschenko vorerst zum Schweigen verurteilt ist, nimmt sein enger Freund und Kollege Ayder Muschdabajew kaum ein Blatt vor den Mund. Die Behörden hätten Babtschenko abgehörte Telefongespräche vorgespielt, in denen der Auftraggeber Druck machte, ihn endlich zu töten: Babtschenko gehe doch regelmäßig joggen, da müsse man doch endlich „liefern“ – also ihn töten, sei da zu hören gewesen. Die ukrainischen Geheimdienstler zeigten Babtschenko demnach Bilder von ihm und seiner Frau, die nur die Behörden in Moskau hatten. „Sie hatten viel in der Hand, und schließlich war Arkadij überzeugt, dass die Gefahr echt war, dass sie ihn wirklich umbringen wollten. Und ich bin auch davon überzeugt“, sagt Muschdabajew.

Um Zeit für die Inszenierung des Mordes zu gewinnen, ließen die Behörden Babtschenko erst einmal verschwinden: Zunächst täuschten sie vor, dass er ein Beinleiden auskuriere – um so zu erklären, warum er seine Wohnung nicht mehr verließ. Arkadij sei nur deshalb noch am Leben, weil der Auftraggeber ausgerechnet einen V-Mann des ukrainischen Geheimdiensts mit dem Mord beauftragt habe, der sofort die Behörden informierte, glaubt Muschdabajew.

Der Mann, den die ukrainischen Behörden für den Drahtzieher halten, ist der Unternehmer Wjatscheslaw Piwowarnik in Moskau. In „Putins Privat-Fonds“, wie Kiewer Journalisten die Netzwerke des Kremlchefs für undurchsichtige Politik-Geschäfte nennen, sei der Unternehmer für die Destabilisierung der Ukraine und Terrorakte zuständig.

Das behauptet zumindest der Mann, der den Killer für Babtschenko in Kiew beauftragt haben soll und jetzt in Haft sitzt: Borys Herman. Vertrauenswürdig wirkt der mutmaßliche Auftraggeber jedoch nicht. So behauptet er etwa von sich, auch für den ukrainischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. Die realen Hintergründe bleiben im Dunkeln.

Genauso wie sein Freund Babtschenko gehört Muschdabajew zu den radikalsten Putin-Kritikern, die auf einer Todesliste stehen sollen. Er nennt ihn den „Paten“. Spricht von einem Mafia-Staat. Das macht ihn zu einem Hassobjekt für den russischen Propaganda-Apparat. Anders als viele Beobachter im Westen hat Muschdabajew deshalb keinen Zweifel daran, dass die Todesliste echt ist.

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