Seehofers Asyl-Paket

Der Streit flammt wieder auf

von Redaktion

Von Christian Deutschländer

Berlin – Am Abend dieses wirren Tages steht Horst Seehofer vor der Bayerischen Landesvertretung in Berlin, seine Haare flattern im Wind, er bemüht sich um einen gefassten Auftritt. „Ich habe eine Verantwortung für dieses Land, nämlich, dass wir steuern und ordnen“, sagt der Bundesinnenminister, CSU. „Und ich kann das nicht auf den St.-Nimmerleins-Tag verschieben.“ Wer ihn kennt, sieht: Es brodelt in ihm.

Und in seiner ganzen Partei. Am Montag ist, für Außenstehende unvermittelt, der große Asyl-Streit der Regierung wieder aufgebrochen. Seit Wochen erarbeitete Seehofer seinen Migrations-Masterplan, der einen dicken Strich unter die Politik der offenen Grenzen und überforderten Behörden setzen soll – jetzt stoppt die Kanzlerin aber sein Vorhaben vorerst. Angela Merkel stellt sich quer gegen das wichtige Detail aus Seehofers bisher nur wenig bekanntem Plan, dass bereits in anderen Staaten Europas registrierte Flüchtlinge an der Grenze abgewiesen werden sollen; eventuell auch Migranten ohne Papiere.

Ihre Sorge auch nach mehreren Gesprächen: Ein deutscher Alleingang an der Grenze könnte schwer kalkulierbare Folgen in Europa zeigen. Sie will in der Flüchtlingspolitik doch noch zu einer europäischen Lösung kommen – mehr Solidarität und gemeinsame Standards, die sicherstellen, dass etwa ein Albaner in Frankreich nicht mehr Chancen auf eine Anerkennung als Flüchtling hat als in Deutschland. Vielleicht könnte Österreichs EU-Ratspräsidentschaft ab Juli da etwas ändern. Merkel: „Ich möchte, dass EU-Recht Vorrang hat vor nationalem Recht.“

Die CSU hat die Hoffnung dagegen aufgegeben, dass man sich zumindest mit den wichtigen EU-Staaten Italien, Frankreich, Griechenland, Spanien und Österreich in absehbarer Zeit einigen kann. Seehofers Partei fürchtet vor allem: Vor der Landtagswahl im Oktober wird das nichts.

Ohne diese Maßnahme will Seehofer sein Konzept nicht vorlegen. Er sagt am Montagnachmittag kurzfristig die für heute geplante Pressekonferenz ab. Wegen Merkels Kritik an der Grenz-Frage liegen damit auch die anderen 62 Vorschläge auf Eis. Dabei geht es darum, wie Asylverfahren schneller und besser werden könnten. Wie sichergestellt werden kann, dass sich Ausreisepflichtige der Abschiebung nicht entziehen. Lediglich den Umbau des Migrations-Bundesamts Bamf will Seehofer, so ist zu hören, diese Woche durchziehen.

Droht nun ein Krach in der Union wie schon 2017, der nur mühsam mit Formelkompromissen übertüncht wurde? Stellt sich die CSU sogar offen gegen Merkel? Der Zorn ist groß. Am Abend wird das nach Informationen unserer Zeitung in der mehrstündigen Sitzung der Landesgruppe deutlich. „Faule“ Deals wolle er nicht, sagt Seehofer. Er habe „unsere hundertprozentige Unterstützung“, bekräftigt Alexander Dobrindt, der Chef der Abgeordneten. „Wir kämpfen das Thema Zurückweisungen gemeinsam durch.“ Der Abgeordnete Michael Frieser wird zitiert, er verstehe nicht, wieso Merkel sage, sie wolle keinen Alleingang in Europa – „das, was sie tut, ist doch der Alleingang“. Der erfahrene Kollege Hans Michelbach schimpft, die Kanzlerin sei „uneinsichtig“.

Merkel habe einen riesigen Fehler begangen, beklagen andere, wegen ihr ende das „Staatsversagen“ nicht. „Es ist bedauerlich, dass manche bis in die Spitze der Regierung den Schuss noch nicht gehört haben“, wird die Abgeordnete Daniela Ludwig zitiert.

Seehofer macht in der Runde eine Bemerkung, die ein Beben in der Koalition ankündigen könnte. Er sei einigermaßen erstaunt, „dass man mit so einem milden Zurückweisungsvorschlag ein Problem hat“. Aber „ich habe den Vorteil, ich bin nicht nur Innenminister, sondern auch Parteivorsitzender“.

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