Europäische Volkspartei

Schaulaufen der Europa-Konzepte

von Redaktion

von Mike Schier

München – Es dauert ein wenig, bis der Stargast seine Rede beginnen kann. Sebastian Kurz muss einen kleinen Fotomarathon absolvieren, ehe er sich zur ersten Reihe vorgekämpft hat. Viele EU-Parlamentarier der konservativen EVP-Fraktion wollen ein Stück vom Glanz abhaben, den der erst 31-jährige Regierungschef aus dem „kleinen Land“ (Kurz über Österreich) verstrahlt. Dann hängen sie an seinen Lippen. Nicht nur, weil Kurz Gedanken klarer und mutiger ausspricht als viele seiner Kollegen. Sondern auch, weil Österreich im Juli die Präsidentschaft des Europäischen Rates einnimmt.

Die dreitägige Klausurtagung der EVP-Fraktion in einem Münchner Fünf-Sterne-Hotel hat sich etwas unvermittelt zu einem Schaulaufen der Europa-Konzepte entwickelt. Am Mittwochabend staunten jedenfalls viele Zuhörer, als Angela Merkel ihre Europa-Pläne ungewöhnlich deutlich skizzierte. EVP-Fraktionschef Manfred Weber sprach danach von einer „starken Regierungserklärung für die nächsten Jahre“. Gestern folgte auf die deutsche Kanzlerin der österreichische Kollege – und man staunte ein wenig, wie groß die Schnittmengen der beiden inzwischen sind.

Übereinstimmend warnten beide vor einem Scheitern der Flüchtlingspolitik, die in der zweiten Jahreshälfte unbedingt geklärt werden müsse. „Wenn es uns nicht gelingt, eine gemeinsame Antwort auf Fragen der illegalen Migration zu finden, dann werden die Grundfesten der Europäischen Union infrage geraten“, sagte Merkel, die bekanntlich nicht zum Alarmismus neigt. Auch Kurz erklärte das Thema schlicht zur Schicksalsfrage der ganzen Union: „Kein Schutz der Außengrenzen – das ist der Anfang vom Ende des Europas ohne Grenzen nach innen.“

Der Österreicher plädierte dafür, den Streit um die Verteilung der Flüchtlinge, „wo wir uns wahrscheinlich nicht einig werden“, nicht zu sehr in den Vordergrund zu rücken. „Fokussieren wir uns lieber auf das, wo eine Zusammenarbeit möglich ist.“ Er unterstütze daher den Vorschlag der Kommission, Frontex auf 10 000 Mann aufzustocken und zwar nicht erst bis 2027, sondern deutlich schneller. Frontex brauche darüber hinaus auch ein politisches Mandat: Es müsse möglich sein, dass die europäische Grenzschutzagentur in Drittstaaten Boote am Ablegen hindere oder Menschen an der Außengrenze erst versorge und sie dann in Transit- oder Herkunftsstaaten zurückbringe.

Merkel ging in ihrer Rede in diesem Punkt nicht zu sehr ins Detail – doch auch sie fasste einen neuen europäischen Ansatz ins Auge. „Wir brauchen mittelfristig eine europäische Asylbehörde, die ihre Arbeit im Schwerpunkt an den EU-Außengrenzen durchführt.“

Die Tagung der EVP, die mit 219 Abgeordneten die größte Fraktion des EU-Parlaments stellt, soll den Startschuss für den Wahlkampf 2019 bilden. „Unsere Hauptaufgabe ist der Kampf gegen die Extremisten in Europa, die den Menschen erzählen, dass nationaler Egoismus vor Partnerschaft geht“, sagte Manfred Weber, den der österreichische „Standard“ gestern zum „klaren Favoriten“ für die nächste europaweite Spitzenkandidatur erklärte. Sollte es dazu kommen, hätte der niederbayerische CSU-Politiker auch gute Chancen, Jean-Claude Juncker als Kommissionschef zu beerben. Doch die EVP will erst im November über die Personalie entscheiden.

Bis dahin führen die Staatschefs das große Wort. Kurz und Merkel waren sich nicht nur einig, dass man die Kommission (bislang ein Kommissar pro Mitgliedsstaat) verkleinert werden muss. „Im Moment haben wir mehr Kommissare, als wir eigentlich Zuständigkeiten zu vergeben haben“, sagte Kurz. Auch die Überlegung, die drei Standorte des Parlaments (Brüssel, Straßburg und Luxemburg) auf einen zu reduzieren, teilen beide. „Das wäre auch ein klares Signal an die Bevölkerung, dass wir nicht nur sparsam mit Steuergeldern umgehen, sondern dass wir es schaffen, historisch begründete Traditionen zu überwinden und einen nächsten Schritt in der Zusammenarbeit zu machen.“ Insider sehen in dem Vorstoß aber eher Verhandlungsmasse gegenüber Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Verschiedene Meinungen gibt es dagegen vor allem in Finanzfragen. Österreich sperrt sich gegen höhere Zahlungen nach Brüssel, während sie in Deutschland bereits im Koalitionsvertrag vereinbart sind. „Durch den Brexit fallen 13 Prozent der Bevölkerung in der Europäischen Union weg“, sagte Kurz. „Das sollte ein Anlass sein, auch hier schlanker zu werden.“ Haushaltskommissar Günther Oettinger will den Sieben-Jahres-Haushalt um 192 Milliarden auf 1279 Milliarden Euro erhöhen.

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