Klein-Parteien empört über neue Sperrklausel bei EU-Wahl

von Redaktion

ÖDP-Abgeordneter Buchner: „Demokratie und Pluralismus werden beerdigt“ – Freie Wähler-Politikerin warnt vor Anwendung schon 2019

Brüssel/Berlin – Der Umweg über Brüssel hat sich gelohnt – zumindest für die „Großparteien“ CDU, CSU und SPD. Die EU-Staaten haben gestern die Einführung einer neuen Sperrklausel zwischen zwei und fünf Prozent beschlossen, die die Tür für Kleinstparteien zum Europäischen Parlament verschließen wird. Ob die Regel bereits für die Europawahl 2019 gilt, ist derzeit noch offen, aber spätestens 2024 wird sie greifen.

Kurz vor dem letzten Urnengang 2014 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Drei-Prozent-Hürde im deutschen Europawahlgesetz noch ersatzlos gestrichen, die Möglichkeit eines entsprechenden EU-Wahlgesetzes aber offen gelassen. Davon hat die Bundesregierung nun Gebrauch gemacht.

Derzeit stammen sieben der insgesamt 96 deutschen EU-Abgeordneten aus Kleinstparteien. So wie der Münchner Professor Klaus Buchner von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP). Buchner ist über die EU-Entscheidung empört: „Heute wurden die Demokratie und der Pluralismus beerdigt. Hunderttausende Stimmen, die für die kleineren Parteien abgegeben werden, sollen zukünftig unter den Tisch fallen“, schimpft der Münchner. „So sichern sich die etablierten Parteien ein paar zusätzliche Sitze, die ihnen aufgrund des Wahlergebnisses gar nicht zustehen.“ Auch das Argument, eine Wahlhürde würde extremistische Parteien aus dem Parlament fernhalten, will Buchner nicht gelten lassen: „Die nationalistische, fremdenfeindliche und antieuropäische AfD wird auch mit Wahlrechtshürde ins Europaparlament einziehen“, so Buchner.

Auch seine Allgäuer Kollegin Ulrike Müller kritisiert den EU-Beschluss. Die Abgeordnete der Freien Wähler hält vor allem das Argument für scheinheilig, eine Sperrklausel beuge einer Zersplitterung des Parlaments vor. „Auf die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments hat eine Sperrklausel keinen Einfluss“, so Müller. „Der Großteil der sieben Abgeordneten kleinerer Parteien hat sich einer der großen Fraktionen angeschlossen. Ich als Freie Wähler-Politikerin gehöre zur (liberalen, Anm. der Red.) ALDE-Fraktion“. Müller warnt davor, die Klausel bereits bei der EU-Wahl im kommenden Jahr anzuwenden. Nach einer Leitlinie der sogenannten Venedig-Kommission sollen innerhalb eines Jahres vor einer Wahl keine Änderungen des Wahlrechts mehr erfolgen. Deutschland wählt am 26. Mai 2019. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt sich Müller aber skeptisch, ob sich die Große Koalition an den Ehrenkodex hält.

Nicht ohne Grund: Der Chef der deutschen CDU-Europaabgeordneten, Daniel Caspary, wirbt für eine Anwendung der Sperrklausel schon 2019. Das entsprechende Gesetzesverfahren laufe bereits seit zwei Jahren, argumentiert er. Auch sein SPD-Kollege Jo Leinen hält eine Umsetzung des neuen EU-Gesetzes bis Mai 2019 sehr wohl für möglich: „Ob in Deutschland die Mindesthürde eingeführt wird, hängt vom Gesetzgebungsprozess im Deutschen Bundestag ab.“

Die EU-Reform gilt für Wahlbereiche (Länder) mit mehr als 35 Abgeordneten. In der Praxis betrifft sie nur zwei der 28 Mitgliedstaaten: Spanien und Deutschland. In kleineren Ländern wie Luxemburg oder Slowenien existieren de facto Mindesthürden. Da es dort nur wenige Sitze im EU-Parlament zu verteilen gibt, sind prozentual mehr Stimmen nötig, um einen davon zu ergattern.

In den anderen großen EU-Ländern wie Frankreich oder Italien gibt es bereits gesetzliche Sperrklauseln, oder die Länder sind in so kleine Wahlbereiche eingeteilt, dass de facto ebenfalls Sperrklauseln entstehen. Alexander Weber

Artikel 2 von 14