Kassen fordern Richtlinien für Arztdiagnosen

von Redaktion

Streit um Finanzausgleich: Interessengemeinschaft vermutet neue Manipulationsversuche – Beitrags-Parität im Kabinett

München – Am Mittwoch hat Jens Spahn Premiere. Das erste von ihm als Gesundheitsminister initiierte Gesetz ist dann im Kabinett. Beschlossen werden soll die Rückkehr zur Parität – also, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Krankenkassenbeiträge ab 2019 wieder komplett teilen. Für die Beitragszahler ist das eine Entlastung, doch eigentlich wollte Spahn (CDU) viel mehr. Sein Plan war, die Kassen gleichzeitig dazu zu zwingen, einen Teil ihrer enormen Überschüsse abzubauen – zugunsten geringerer Zusatzbeiträge.

Dass daraus vorerst nichts wird, liegt neben dem erwartbaren Aufschrei der Kassen auch am Widerstand innerhalb der Koalition. Mindestens bis 2020 dürfen die Kassen ihre Polster nun laut Kabinettsvorlage erst einmal behalten. Und auch dann gilt die Bedingung, dass vor einem Rücklagen-Abbau erst der Finanzausgleich reformiert werden muss. Denn dieser Finanzausgleich bestimmt maßgeblich, wie viel Geld eine Krankenkasse aus dem Gesundheitsfonds erhält – und dabei fühlen sich einige stark benachteiligt.

Öffentliche Aufmerksamkeit erfährt das Thema immer dann, wenn sich die Kassen gegenseitig vorwerfen, den Mechanismus mit der Beeinflussung von ärztlichen Diagnosen zu steuern. Denn für einige Krankheiten gibt es Zuschläge. Wenn ein Arzt also eine dieser Erkrankungen diagnostiziert und in einem System dokumentiert, erhält dessen Kasse mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds – und kann so mit einem günstigeren Zusatzbeitrag in den Wettbewerb ziehen. Die Kassen haben also ein Interesse daran, dass der Arzt möglichst viele dieser Diagnosen dokumentiert. Seit Mai 2017 ist es ihnen zwar per Gesetz verboten, Ärzte in ihren Diagnosen zu beeinflussen. In der Branche herrscht allerdings vielfach die Auffassung, dass einige Kassen weiterhin versuchen, auf die Praxen einzuwirken.

Die RSA-Allianz, ein Zusammenschluss von zwölf Betriebs-, Ersatz- und Innungskassen, fordert deshalb die Einführung verbindlicher Richtlinien, nach denen Ärzte ihre Diagnosen dokumentieren müssen. Ein Vorgang, der im Fachjargon als Kodieren bezeichnet wird. Da weitere Vertragskonstrukte zu erwarten oder bereits etabliert seien, die die geltenden Regelungen unterlaufen würden, „stellen wir in Übereinstimmung mit weiten Teilen der GKV erneut die Forderung nach einer Vereinheitlichung der ambulanten Kodierpraxis“, schreiben die Kassen in einem Positionspapier, dessen Entwurf unserer Zeitung vorliegt. „In diesem Zusammenhang schließen wir uns weiterhin der Forderung an, dass eine entsprechende IT-Unterstützung, z.B. in Form von Softwaremodulen nicht von einzelnen Kassen gesponsert werden darf, sondern vielmehr einer einheitlichen Zertifizierung bedarf“, heißt es in dem Entwurf weiter. In einem ersten Schritt solle eine Kommission passende Richtlinien erarbeiten, schlagen die Kassen vor.

Ähnliche Forderungen gab es im vergangenen Jahr und auch schon früher bereits von anderen Krankenkassen. Auch der mit dem Finanzausgleich befasste wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt hat sich in einem Sondergutachten 2017 für die Einführung ambulanter Kodier-Richtlinien ausgesprochen. Die Manipulations-Anfälligkeit ist zudem nicht der einzige Streitpunkt. Besonders aus Bayern wird auch immer wieder der Vorwurf laut, die regional unterschiedlichen Kosten der Gesundheitsversorgung würden im Finanzausgleich zu wenig berücksichtigt. Auf Jens Spahn kommt also noch viel Arbeit zu. Sebastian Horsch

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