Man kennt das von Lawinen: Sie beginnen mit einem unscheinbaren Schneeball, der so stark anschwillt, bis die Massen eine verheerende Kraft entfalten und alles hinwegwegen, was sich ihnen in den Weg stellt. Auch der Bamf-Skandal begann als vermeintliche Provinzposse in Bremen, doch seit dem Wochenende besitzt er eine Dimension, die der Regierung gefährlich werden kann.
Der jetzt aufgetauchte Hilferuf des ehemaligen Bamf-Chefs Jürgen Weise stellen automatisch die Frage nach der politischen Verantwortung. „Die neue Leitung hat in ihrer beruflichen Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“, schrieb Weise 2017, zu einer Zeit also, in der sich Angela Merkel längst den Spruch zu eigen gemacht hatte, dass sich Zustände wie 2015 nicht wiederholen dürften. Die Mängelliste, die Weise aufstellte, legt jedoch nahe, dass die Behörde keineswegs auf einen neuerlichen Ansturm vorbereitet wäre. Schlimmer noch: Offenbar war sie auch zu einer echten Prüfung bestehender Asylanträge nicht in der Lage.
Hauptverantwortlich für diesen Missstand ist der zu Recht nicht mehr berufene Thomas de Maizière, dessen hochnäsiges Nachtreten gegen Nachfolger Horst Seehofer (einen Nicht-Juristen) rückblickend besonders dreist wirkt. Doch machen es sich Merkel und ihr Vertrauter Peter Altmaier zu leicht, wenn sie die Schuld allein beim Innenminister abladen. Offenbar haben beide noch immer nicht verstanden, weshalb so viele Deutschen mit ihrer Politik hadern: Diese Menschen bezweifeln, dass der Staat in Asylfragen die gleichen hohen (rechts-)staatlichen Maßstäbe anlegt, die er in allen anderen Bereichen einfordert. Statt die entstandenen Scherben durch solides Regieren langsam zu kitten, wird mit dem Bamf-Skandal nun neues Porzellan zerschlagen. Es ist ein Jammer!
Mike Schier
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