Dublin – Aisha Chithira lebt mit Mann und Tochter in Irland. Sie ist schwanger. Aber weil sie unter einer Erkrankung leidet und bereits Zwillinge tot gebar, will sie abtreiben. In Irland ist das verboten, daher will sie den Eingriff in England vornehmen lassen. Einen Monat wartet sie auf das Visum und reist in der 22. Schwangerschaftswoche nach London. Sie kehrt nie zurück: Chithira kollabiert nach dem Eingriff im Taxi und stirbt.
Im katholischen Irland gilt eines der strengsten Abtreibungsverbote Europas. Kritikern zufolge zwingt es viele Frauen zu längeren Schwangerschaften und Eingriffen in fremden Ländern. Selbst Ministerpräsident Leo Varadkar sagte kürzlich, er wisse, wie viele Frauen zur Abtreibung ins Ausland reisten oder „Abtreibungspillen per Post erhalten, um ihre Schwangerschaften zu beenden“. Doch das könnte sich bald ändern. Heute dürfen mehr als drei Millionen Iren über die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen abstimmen.
In Irland ist ein Abbruch nur legal, wenn die Schwangere selbstmordgefährdet oder ihr Leben bedroht ist. 25 Eingriffe wurden 2017 aus diesem Grund vorgenommen. Selbst nach Vergewaltigung, Inzest und bei einem kranken Fötus ist ein Abbruch untersagt. Wer dagegen verstößt, kann mit bis zu 14 Jahren Gefängnis be- straft werden – aber nicht, wenn die Frau im Ausland abtreibt. Nach Auskunft des Zentrums für reproduktive Rechte haben nur Malta, Andorra und San Marino in Europa noch strengere Abtreibungsgesetze.
Das Problem in Irland: Per Verfassungszusatz sind ungeborene Kinder genauso im Recht auf Leben geschützt wie Mütter. Das macht laut Kritikern Abtreibungen faktisch unmöglich. Amnesty International klagt in einem Report, in Irland würden Frauen „wie Gebärmaschinen behandelt“. Der UN-Menschenrechtsausschuss bezeichnete das Verbot als „grausam, unmenschlich und erniedrigend“.
Durch das Referendum soll der Verfassungszusatz nun gestrichen werden. Das Parlament hätte so die Möglichkeit, Abtreibungen bis zur zwölften, in Ausnahmefällen bis zur 22. Schwangerschaftswoche zu legalisieren. Umfragen zufolge sind die meisten Iren für die Neuerung.
Von 1980 bis 2016 ließen mehr als 168 700 Schwangere den Eingriff in Großbritannien vornehmen. Das geht aus britischen Statistiken hervor, für die die Heimatadressen der jeweiligen Frauen ausgewertet wurden. Auch in anderen Ländern wie den Niederlanden lassen Schwangere aus Irland abtreiben. Jedoch sind die Zahlen niedriger.
Im Vergleich zu Irland ist die deutsche Gesetzgebung beinahe lax. Hier kann eine Abtreibung bis zur zwölften Woche straffrei vorgenommen werden, wenn der Frau bescheinigt wurde, dass sie ausreichende Gründe für den Abbruch hat. Die Zahl der Eingriffe ist nach jahrelangem Rückgang im vergangenen Jahr wieder gestiegen – um 2,5 Prozent auf rund 101 200. Mehr als 1000 Frauen kamen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Ausland, insbesondere aus Polen, wo Frauen nur nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für ihr Leben abtreiben dürfen. Die irische Gesellschaft für Familienplanung ist überzeugt: Chithira könnte noch am Leben sein, wenn der Eingriff in Irland erlaubt gewesen wäre. Es sei inakzeptabel, dass eine Schwangere mit einer solchen medizinischen Vorgeschichte sich selbst um einen Abbruch in einem anderen Land kümmern müsse, sagt Geschäftsführer Niall Behan. Für Abtreibungsgegner wie die britische Gesellschaft zum Schutz des ungeborenen Kindes (SPUC) ist der Todesfall hingegen ein Beleg für „die geringen ethischen Standards der Abtreibungsindustrie“.
Chithira starb an inneren Blutungen. In London stehen Mitarbeiter der Klinik vor Gericht. Ein unabhängiger Experte sagte aus, Komplikationen seien falsch eingeschätzt worden, die Ärzte hätten Fehler gemacht. Silvia Kusidlo