München – Die abschlagsfreie Rente mit 63 erfreut sich großer Beliebtheit. Knapp vier Jahre nach ihrer Einführung haben mehr als eine Million Menschen den vorzeitigen Abschied aus dem Berufsleben beantragt. Davon bewilligt wurden zwischen dem Inkrafttreten im Juli 2014 und Ende April dieses Jahres rund 985 000 Anträge, wie die Deutsche Rentenversicherung am Donnerstag bestätigte. Das sind mehr, als die Regierung erwartet hatte. „Es wird von etwa 200 000 Fällen je Jahr ausgegangen“, war im Gesetzentwurf noch zu lesen. Es kam anders.
2014 nahmen 151 000 Menchen die Rente mit 63 in Anspruch, 2015 waren es 274 000 und im Jahr darauf 225 000. Zum Vergleich: Im Juni 2014, dem letzten Monat vor Einführung der Rente mit 63, zahlte die Rentenversicherung nur an 41 000 Menschen Renten für „besonders langjährig Versicherte“ mit mehr als 45 Beitragsjahren aus – insgesamt 62,6 Millionen Euro.
Heute belaufen sich diese Ausgaben laut Rentenversicherung auf 1,3 Milliarden Euro im Monat. Das Sozialministerium betont allerdings: Die Ausgaben pauschal über mehrere Jahre und alle Teilgruppen hinweg als „Kosten der Rente ab 63“ anzugeben, sei deshalb unzulässig. Denn die monatlichen Ausgaben umfassen alle Rentenempfänger dieser Leistungsart. Die Betroffenen wären im Alter von 65 Jahren demnach sowieso in Rente gegangen.
Der Hintergrund: Wer mindestens 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Die Altersgrenze wird seit 2014 allerdings pro Jahr um zwei Monate angehoben. Versicherte des Jahrgangs 1955, die in diesem Jahr 63 werden, können diese Rente also mit 63 Jahren und 6 Monaten erhalten. Und die Jahrgänge ab 1964 werden demnach erst mit 65 nach 45 Jahren abschlagsfrei in den Ruhestand gehen können. Phasen von Arbeitslosigkeit werden angerechnet, ebenso Zeiten der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen. Nicht berücksichtigt werden etwa Anrechnungszeiten wegen Schul- oder Hochschulbesuchs.
Kritik an der Regelung gab es schon 2013. Anlässlich der neuen Zahlen wirft der Arbeitgeberverband BDA der Regierung nun „staatlich subventionierte Frühverrentungspolitik“ vor. Die Rente mit 63 entziehe den Betrieben dringend benötigte Fachkräfte, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. Für den FDP-Rentenexperten Johannes Vogel belegen die Zahlen, „wie die Kosten einzelner Rentenmaßnahmen aus dem Ruder laufen können“. Und Markus Kurth, Rentenpolitischer Sprecher der Bundestags-Grünen, bemängelt, die steigenden Kosten der Rente mit 63 engten den Spielraum für Leistungen für jene ein, die von der Erhöhung des Rentenalters auf 67 besonders betroffen seien. „Denn viel zu viele Menschen halten nicht so lange durch.“
Andere erkennen in den Zahlen eine positive Nachricht. So betont der Linke-Rentenexperte Matthias W. Birkwald: „Die vorgezogene und abschlagsfreie Rente ab 63/65 ist ein voller Erfolg, denn Menschen, die 45 und mehr Jahre in die Rente eingezahlt haben, können oft nicht mehr länger arbeiten und haben sich ihren Ruhestand redlich verdient.“
So sehen es auch die Sozialdemokraten. SPD-Fraktionsvize Katja Mast sagt sogar: „Die Zugänge zur abschlagsfreien Rente nach 45 Versicherungsjahren waren in diesem Umfang erwartbar.“ Ziel der SPD sei es immer gewesen, damit Lebensleistung anzuerkennen.
Als Gegenstück zur Rente mit 63 trat 2017 die Flexi-Rente in Kraft. Arbeitnehmer können seither flexibler aus dem Berufsleben aussteigen. Eine Teilrente kann mit Teilzeitarbeit kombiniert werden. Bei Teilrente mit 63 Jahren stiegen die Zuverdienstmöglichkeiten. hor, dpa