Richter Huber überwacht das Polizei-Gesetz

von Redaktion

Mit einer ungewöhnlichen Personalie will Ministerpräsident Söder den spät aufgeflammten Streit entschärfen

München – Zu den Vorteilen des Regierens mit absoluter Mehrheit zählt nicht nur, alleine zu entscheiden, was beschlossen wird. Sondern auch: wann. Große Regierungserklärungen setzt die CSU im Landtag deshalb so an, dass alle großen Nachrichtensendungen und die Abendausgaben der Zeitungen mühelos erreicht werden. Für unangenehme Beschlüsse findet sich hingegen zufällig nur noch ein ungünstiges Zeitfenster. Die Debatte zum Polizeiaufgabengesetz ist jetzt für den späten Dienstagabend geplant, exakt 64 Minuten Aussprache, nicht vor 21 Uhr.

Die kleine parlamentarische Grobheit dürfte die Aufmerksamkeit diesmal aber nicht schmälern. Zu groß ist der Widerstand, als dass eine stille nächtliche Verabschiedung möglich erscheint. Seit Tagen wird in größeren Städten gegen das Gesetz demonstriert, in München mit über 30 000 Teilnehmern, in Regensburg am Abend mit einer vierstelligen Zahl. Zudem hat die CSU selbst noch eine Überraschung in der Hinterhand. Das Gesetz wird nicht geändert – einer der prominentesten Richter Bayerns erhält aber den Auftrag, die Umsetzung an der Spitze einer neu gegründeten Kommission zu überwachen. Nach Informationen unserer Zeitung wird Karl Huber, der ehemalige Präsident des Bayerischen Verfassungsgerichtshof, die Kommission aus Polizeipraktikern, Juristen und Datenschützern übernehmen. Das bestätigte die Staatskanzlei auf Nachfrage.

Huber, Jahrgang 1948, vor zwei Jahren in den Ruhestand verabschiedet, war wohl auch der Wunschkandidat Söders. Ein handzahmer Kommissionschef dürfte er allerdings nicht sein. In seiner Zeit als Richter fuhr er der Staatsregierung mehrfach schwungvoll in die Parade, etwa als sein Gericht das Fragerecht der Opposition stärkte – oder als es in der Verwandtenaffäre die betroffenen Minister scharf zurechtwies. Hubers Gerichtsentscheidungen brachten die CSU mehrfach in Bedrängnis, die Opposition feierte sich in solch seltenen Momenten spektakulär als juristischer Sieger.

Nun soll Huber also das Gesetz überwachen und dem Streit ein Stück weit Schärfe nehmen. Kurioserweise passt das gut zur Vita des einst obersten Juristen Bayerns: Er hatte seine Karriere in den 60er-Jahren als Polizist begonnen und erst später berufsbegleitend Jura studiert.

Hubers Nominierung geht allerdings nicht mit weiteren inhaltlichen Korrekturen am Gesetz einher. Nur kleine Nachbesserungen hat die CSU bereits in ihren seit Monaten kursierenden Entwurf eingearbeitet: So soll etwa auf die automatisierte Gesichtserkennung bei Videoüberwachung verzichtet werden.

Die großen Streitfragen bleiben. Der zentrale Kritikpunkt ist die Absenkung der Eingriffsschwelle für die Polizei: Sehr viel mehr Befugnisse als bisher sollen die Beamten künftig nicht erst bei einer „konkreten“, sondern schon bei einer „drohenden“ Gefahr anwenden können. Der Begriff der lediglich „drohenden Gefahr“ ist zwar nicht neu, er steht so schon seit einem Jahr im Gesetz – wobei Kritiker darauf verweisen, dass das zur Terrorbekämpfung eingeführt worden sei. Und: Der Begriff sei viel zu unbestimmt.

Umstrittene neue Befugnisse der Polizei sind etwa die Auswertung von DNA-Spuren schon zu Fahndungszwecken. Das Innenministerium argumentiert, mit einer DNA-Untersuchung von Geschlecht, Augen-, Haut- und Haarfarbe, Alter und Herkunft könne „der Kreis der potenziellen Gefährder eingegrenzt werden“. Kritiker, darunter der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri, stören sich daran, dass die Polizei das genetische Programm eines Menschen auswerte, also zu Zwecken der Gefahrenabwehr in die Gene „hineinschauen“ dürfe.

Umstritten ist auch die geplante Ausweitung des Einsatzes von Körperkameras („Bodycams“) durch Beamte. Ebenso umstritten sind eine Vielzahl „technischer“ Befugnisse, die die Polizei bekommen soll, etwa der Zugriff auf Cloud-Speicher. Die Gewerkschaft der Polizei erinnerte gestern indes an eine „Vielzahl von Richtervorbehalten für Maßnahmen, die bislang ein leitender Polizeibeamter anordnen konnte“ – das stärke die Bürgerrechte.  (mit dpa)

Christian Deutschländer

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