Auf der Suche nach dem Teamgeist

von Redaktion

Trügerische Idylle: Große Koalition geht in Schloss Meseberg in Klausur – Arbeitgeberchef mahnt – SPD sieht Autoritätsverlust Merkels

Meseberg – Wie hingemalt liegt das weiße Barockschloss am Hugenowsee, der Rasen wird noch für die hohen Gäste gesprengt. Ein Postkartenmotiv. Durch die vielen Maulwurfshügel sind vor dem Schlosszaun die Übertragungskabel für die TV-Sender verlegt, so viel Polizei ist sonst nie in dem kleinen brandenburgischen Dorf Meseberg. Ein Mann brüllt mehrfach Richtung Schloss: „Merkel muss weg“ und „Volksverräterin“. Schon diese Szene zeigt, anno 2018 ist einiges anders im Land. Und auch im Kabinett ist die Polarisierung spürbar.

Zunächst gibt es das übliche Prozedere zu Beginn einer Klausur des Kabinetts in Schloss Meseberg, dem Gästehaus der Bundesregierung, das Theodor Fontane bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg als „Zauberschloss“ adelte. Eine schwarze Limousine nach der anderen fährt in den Hof, die Ministerinnen Julia Klöckner (CDU/Agrar) und Katarina Barley (SPD/Justiz) tauschen sich über die Herausforderung aus, mit Stöckelschuhen über das Feldsteinpflaster zu laufen.

Kanzlerin Angela Merkel grüßt mit Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den beiden Gästen, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und DGB-Chef Reiner Hoffmann, von der Schlosstreppe, dann geht es an die Arbeit – erstes großes Thema ist der Weg in Richtung Vollbeschäftigung. „Das gute Wachstum und die sehr gute Arbeitsmarktlage sind keineswegs in Stein gemeißelt“, mahnt aber Arbeitgeberpräsident Kramer die Koalitionäre. „Ich habe den Eindruck, dass bei manchen Politikprojekten diese Lage als selbstverständlich für die nächsten Jahre fortgeschrieben wird.“

Im Schlossgarten betont Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), so eine Klausur sei wie ein „Politikcamp“, die Bürger erwarteten, „dass wir miteinander Lösungen finden“. Es ist eine Tradition geworden, sich zu Beginn einer neuen Regierung zwei Tage, weit weg von der Hektik Berlin in die Idylle Brandenburgs zurückzuziehen, unterstützt von externen Experten. Dieses Mal so spät wie noch nie in der seit 2005 andauernden Amtszeit Merkels, wegen der langen Regierungsbildung. Abends trinkt man ein Gläschen – und baut manches Vorurteil ab, denn eigentlich sind die „Schwarzen“ und „Roten“ ja politische Gegner.

Spätestens seit dem Agieren in der Flüchtlingskrise hat sich das Land verändert. In der SPD sehen sie zudem einen erheblichen Autoritätsverlust bei Merkel, Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind durch den Dissens mit Merkel beim Flüchtlingsthema zu Widersachern geworden – auch durch die Einbindung ins Kabinett lassen sie sich kaum disziplinieren. Sie bestimmen derzeit die Debatte, sei es mit der Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört oder ob der Staat in Deutschland in einigen Gegenden nicht mehr in der Lage ist, Recht durchzusetzen. Beim Familienfoto im Schlossgarten schiebt Merkel Spahn auf die Seite, damit sie mit Scholz und Seehofer nach vorne in die Mitte kommt.

Taktik der SPD ist es, die Füße stillzuhalten, durch gutes Regieren Vertrauen zurückzugewinnen. Aber gewinnt man Profil, wenn man wenig sagt, um den Konflikt innerhalb der Union greller strahlen zu lassen? Doch diese Befind- und Empfindlichkeiten gehen vielleicht etwas an der Problemlage in der Welt vorbei. Während das Kabinett versucht, im Schloss in Ruhe einen Teamgeist zu entwickeln und doch noch einen Zauber des Anfangs zu finden, passiert in der Welt draußen so einiges: Drohende Eskalation in Syrien, ein tobender US-Präsident Trump, Erfolge der Rechtspopulisten in der reformbedürftigen EU sowie ein drohender Handelskrieg zwischen USA, Europa und China.

Es gibt also mehr als genug zu tun. So ist die Schlossidylle in vielerlei Hinsicht eine trügerische – es passt da sehr gut ins Bild, dass während einer der Sitzungen im nahe gelegenen Dorf ein Sirenenalarm ertönt. Es brannte eine Böschung. G. Ismar, R. Mayr

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