Bayerns Pflege-Konzept

1000 Euro im September

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Es war an einem Montagabend im letzten September, als der Politik dämmerte, dass sie etwas unterschätzt hat. In einer Live-Sendung im Fernsehen knöpfte sich ein junger Krankenpflege-Azubi die Bundeskanzlerin vor, schilderte ihr dramatische Mängel und Unterkapazitäten. Als Angela Merkel beschwichtigte, Besserung und neue Stellen versprach, konterte der junge Mann live: „Wie wollen Sie es denn schaffen, dass in zwei Jahren genügend Pflegekräfte da sind? Die fallen ja nicht vom Himmel!“

In den folgenden Tagen begann die Republik, über das Thema Pflegenot ernsthafter als bisher zu reden. Immer mehr Menschen meldeten sich zu Wort, immer mehr Wählern dämmerte, dass fast jeden im Lauf seines Lebens dieses Thema mal viel konkreter betreffen wird als manches, über das die Politik-Blase sonst so viel redet. Und: Die Union sackte in den Umfragen spürbar ab, weil ihr Wahlprogramm fast keine Antworten auf drängende Pflegefragen gab.

Den Fehler, das vermeintlich „weiche“ Feld zu unterschätzen, dürfte bis auf Weiteres kein Politiker mehr begehen. Die CSU setzt nun sogar auf das Gegenteil. So massiv wie noch nie betont sie vor der Landtagswahl konkrete Projekte zur Verbesserung der Pflege. Schon in der zweiten Schwerpunktsitzung seines neuen Kabinetts hat Regierungschef Markus Söder am Dienstag seine Pläne beschließen lassen. „Wir müssen zeigen, dass wir anfangen“, ordnet er an. „Dass es nicht nur um ein politisches Versprechen geht.“

Söder will in den nächsten Monaten 470 Millionen Euro investieren. Hauptprojekt: das Landespflegegeld für Angehörige, die in Bayern einen Verwandten mit mindestens Pflegegrad 2 betreuen. Sie erhalten fortan jedes Jahr 1000 Euro Einmalzahlung, das erste Mal im September. Unbürokratisch soll das laufen, sagt Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU): „So, dass man nicht noch Mordsdinge nachweisen und ausfüllen muss.“ Wertschätzung enthalte das Wort „Wert“, macht Huml deutlich, das umfasse mehr als „Anerkennung mit warmen Worten“. 360 000 Mal soll das Pflegegeld heuer ausgezahlt werden, rechnen die Experten.

Weitere Projekte: 1000 neue Pflegeplätze werden mit 60 Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Für 500 Kurzzeit-Plätze werden fünf Millionen eingeplant. Kurzzeit-Plätze sollen Angehörige entlasten, die eine Auszeit von der körperlich und psychisch extrem anstrengenden Pflege brauchen, ohne den Gepflegten dauerhaft in ein Heim zu geben. Die Zahl der Plätze sank zuletzt, warnte Huml.

An den Bund und an die Tarifpartner richtete Söder die Forderung, schnell die Situation der Pflegekräfte in Deutschland zu verbessern. Es dürfe keine Hungerlöhne mehr geben, sondern müsse flächendeckend Tarifgehälter geben. Der Bund hat im Koalitionsvertrag gelobt, 8000 neue Stellen für Pfleger zu schaffen (allerdings sind zigtausende Stellen unbesetzt). Darüber hinaus beschloss Söders Ministerrat eine Verdoppelung der rund 640 staatlichen Hospiz- und Palliativplätze im Freistaat.

Verbände reagierten vorsichtig positiv auf die bayerischen Pläne. Söder und Huml „haben die Bedeutung einer sicheren und umfassenden pflegerischen Versorgung erkannt und wichtige Verbesserungen für Pflegebedürftige und deren Familien auf den Weg gebracht“, teilte der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste mit.

Die SPD-Gesundheitspolitikerin Ruth Waldmann sagte, das Landespflegegeld sei „etwas mehr als ein Blumenstrauß, aber nicht das, was die häusliche Pflege wirklich weiterbringt“. Die SPD will einen steuerfinanzierten Lohnausgleich für pflegende Angehörige, die im Beruf kürzer treten müssen. Waldmann erinnerte daran, dass die CSU im Landtag zuvor SPD-Forderungen nach mehr Hospizplätzen abgelehnt hatte.

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