Auf dieses Ei im Osternest hätte Bundeskanzlerin Angela Merkel sicher gerne verzichtet. Nachdem sich die Europäer seit dem Hochkochen der katalanischen Krise alle Mühe gegeben haben, nicht in den vermeintlich rein innerspanischen Konflikt hineingezogen zu werden, ist die Berliner Regierungschefin plötzlich mittendrin. Die Festnahme des Anführers des Unabhängigkeitsreferendums, Carles Puigdemont, auf deutschem Boden stellt Merkel vor eine Herausforderung: Entweder sie gibt den weiblichen Pontius Pilatus, wäscht ihre Hände in Unschuld und verweist auf die Zuständigkeit der Justiz und die Regeln des Europäischen Haftbefehls. Das wäre der mächtigsten Frau Europas nicht würdig.
Oder die Kanzlerin macht aus der Not eine Tugend und ergreift die Gelegenheit beim Schopfe, ihren Madrider Parteifreund Rajoy davon zu überzeugen, endlich wieder einen politischen Dialog in Gang zu setzen, um den tiefen Graben zwischen den katalanischen Separatisten und der Zentralregierung zu überbrücken. Denn eines ist doch absehbar: eine bedingungslose Unterwerfung der Hälfte der politischen Klasse in Barcelona mag aus Madrider Sicht gerechtfertigt und erfolgreich sein. Aber wenn Puigdemont und Gefährten auf Jahrzehnte in spanischen Gefängnissen wie Märtyrer schmoren, wird dies der iberischen Halbinsel den inneren Frieden nicht zurückbringen. Merkel muss als Mediatorin helfen. Und Schotten, Venetier und Korsen werden gespannt dabei zusehen.
Alexander Weber
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