Berlin – „Es ist Samstagnacht, es ist Berlin, es ist Kreuzberg, es ist Party!“, rief Deniz Yücel und holte sich, bevor er an die Discjockeys übergab, noch einige Leute, die ihm wichtig waren, auf die Bühne. Unter ihnen: Jan Böhmermann, auch so ein spezieller Freund des türkischen Staatschefs Erdogan. „Wegen deinem blöden Witz“, spielte Yücel auf das Schmähgedicht mit der Ziege an, „bin ich ein Jahr im Knast gesessen“. Böhmermann, mit Wollmütze und ohne Anzug so gar nicht fernsehlike erschienen, schaute ein wenig verlegen und stellte sich an den Bühnenrand.
Ein Jahr und zwei Tage ist der Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft gesessen, der Prozess wird noch folgen. Doch jetzt ist er in Deutschland und zum ersten Mal öffentlich aufgetreten. Entspannt sah er aus, nicht so wild wie in der Posterboy-Optik der „Free Deniz“-Kampagne. Gelöst war er – und in humoristischer Hochform, als er sein Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ vorstellte. Es enthält Artikel aus den vergangenen 13 Jahren, weswegen er dem Verlag als Titel schon „Schnelle Mark mit altem Plunder“ empfahl, jedoch auch neue Texte, die er in der Türkei in der Zelle („Isolation auf drei mal vier Metern. Man darf zehn Fotos besitzen, aber sie nicht aufhängen“) schrieb.
Wie das geht, wo man ihm doch den Besitz von Papier und Stift verbot? „Es gibt immer einen Weg – Hauptsache, du ergibst dich nicht“, sagt er. Er machte eine Gabelzacke zum Stift, „die Soße aus der Essenskonserve wurde meine Tinte“. Er schrieb in die Weißräume einer türkischen „Der kleine Prinz“-Ausgabe, schmuggelte sie mit der Schmutzwäsche nach draußen. Es herrschte reger Kassiber-Verkehr über seinen Anwalt Veysel Ok: Insgesamt 510 handgeschriebene DIN A4-Seiten umfasste allein der Handapparat zum Buch, den er der Herausgeberin, der taz-Redakteurin Doris Akrap, zukommen ließ.
Anwalt Ok gehörte zu Yücels wichtigsten Bezugspersonen. Von ihm stammt auch das Foto von der Wiedersehensumarmung in Freiheit: Deniz Yücel und Dilek, die er während der Haftzeit heiratete. Bei der Lesung in Berlin hatte er ihre Briefe dabei. Alle auf buntem Papier, in bunten Umschlägen – es war die Farbe in seinem Leben. Dilek klebte auch mal eine Wiesenblume auf ihre Post – Pflanzenzucht war im Gefängnis verboten; heimlich ließ Yücel ein wenig Minze („hart im Nehmen“), erstanden im Gefängnisladen, in einer Wasserflasche wachsen.
Ab Dezember, erzählt er, sei er in türkischen Staatsmedien nicht mehr als Agent und Terrorist bezeichnet worden, sondern als Welt-Korrespondent. Er hatte Hoffnung auf die Freilassung. „Vielleicht hat Erdogan von meinem Buch Wind und Angst bekommen, dass es Nummer eins in Deutschland wird.“
Das Interesse an Yücel ist riesig. Brechend voll mit 800 Besuchern war der „Festsaal Kreuzberg“. Doris Akrap sagte: „Du hättest auch in die Mercedes-Benz-Arena gehen können.“ Sie hat 15 000 Plätze, Yücel sagte: „Nein. In Kreuzberg bin ich zuhause.“ Günter Klein