Berlin – Für Helge Braun geht es aufwärts. Bisher stand sein Schreibtisch in der 5. Etage des Kanzleramts, künftig arbeitet er zwei Etagen darüber, wenige Schritte vom Büro der Bundeskanzlerin entfernt. Angela Merkel hat den 45-jährigen Hessen zum Chef des Kanzleramtes erkoren. Wie sein Vorgänger Peter Altmaier, der nun als Minister ins Wirtschaftsressort wechselt, ist Braun ein Vertrauter der CDU-Chefin. Vier Jahre lang war er als Staatsminister bei der Kanzlerin für die Bund-Länder-Beziehungen zuständig.
Nun rückt er also auf den Chefsessel. Es ist einer der wichtigsten Posten, die in der Hauptstadt zu vergeben sind. Die Amtsinhaber selbst werkeln meist im Verborgenen. Die besten von ihnen machten danach aber noch Karriere in der Politik: Wolfgang Schäuble übte den Job für Helmut Kohl von 1984 bis 1989 aus, ihm folgte während der Wiedervereinigung Rudolf Seiters. Frank-Walter Steinmeier organisierte für Gerhard Schröder das Mammutprojekt „Agenda 2010“. Merkel hatte bislang drei Kanzleramtschefs: Auf den eher ruhigen Thomas de Maizière (2005 bis 2009) folgte der beinharte Ronald Pofalla, der den kritischen Innenpolitiker Wolfgang Bosbach anraunzte: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen.“ Der joviale und humorvolle Altmaier, seit 2013 im Amt, hatte dagegen einen komplett anderen Führungsstil. Während sich die anderen Politiker zu den Koalitionsverhandlungen mit dem gepanzerten Dienstwagen vorfahren ließ, kam er mit dem Fahrrad. Am Lenker hing ein Jutebeutel.
Nun also Helge Braun, in Statur und Erscheinung ähnelt er Altmaier. Als „ChefBK“ leitet er eine Machtzentrale mit rund 600 Mitarbeitern und einem aktuellen Jahresetat von 2,9 Milliarden Euro. Der Kanzleramtschef koordiniert die Regierungspolitik, steht in Austausch mit den Ministerien, mit dem Bundestag und den Bundesländern. Gibt es Zoff, muss Braun schlichten. Wer Braun bei den Morgenlagen mit der Kanzlerin erlebt hat, weiß seine Zuverlässigkeit zu schätzen: „Immer solide, sehr freundlich und umgänglich, sehr klar und stark mit seinen Argumenten“, sagt jemand, der ihn gut kennt und dem Hessen wohlgesonnen ist.
Aber es gibt auch einen wichtigen Unterschied zu Altmaier: Braun liebt es, im Hintergrund zu wirken. „Er ist nicht der Talkshow-Typ – für die Managementaufgabe als Kanzleramtschef genau der Richtige“, heißt es in der CDU. Manche sehen ihn schon als „Reinkarnation des Kanzleramtsministers“ vom Typ Friedrich Bohl, der von 1991 bis 1998 als Bundesminister für besondere Aufgaben Chef des Kanzleramts von Helmut Kohl war. Als akribischer Generalist wird auch Braun beschrieben.
Einer breiten Öffentlichkeit ist Braun bislang unbekannt, dabei wirkt der Hesse schon länger im Berliner Politikbetrieb. 2002 kam er erstmals in den Bundestag, scheiterte aber bei der vorgezogenen Neuwahl 2005. Erst 2009 gewann er erstmals das Direktmandat, ebenso 2013 und 2017. Von 2009 bis 2013 war Braun an der Seite von Ministerin Annette Schavan Staatssekretär im Bundesbildungsministerium.
Nach der Bundestagswahl vom 24. September war Braun an den Jamaika-Sondierungen und später bei den Verhandlungen mit der SPD beteiligt und gab gelegentlich auch Statements ab. „Helge – wer?“, fragten einige Medien.
Als Staatsminister seit 2013 und Flüchtlings-Krisenmanager ab Herbst 2015 agierte er abseits der Kameras. Nun rückt Braun noch näher an die Kanzlerin. Seine Benennung ist auch ein Zeichen für die Verjüngung der CDU. Immerhin befinden sich vier der sechs von Merkel benannten Minister in der Altersspanne von Ende 30 bis Mitte 40, Braun selbst hat mit 45 Jahren womöglich noch ein halbes Politikerleben vor sich.
Sein Werdegang hätte Braun auch dafür prädestiniert, Bildungs- oder Gesundheitsminister zu werden. Jedoch hat er an der Rolle des Generalisten Gefallen gefunden. „Deshalb ist die neue Position als Chef des Bundeskanzleramtes meine Wunschaufgabe“, sagte Braun dem „Gießener Anzeiger“. In Gießen wurde er geboren, machte Abitur und studierte Humanmedizin. Am Uni-Klinikum arbeitete er als Anästhesist und Notfallmediziner.
Weggefährten schätzen seine ruhige Art. Sein Stellvertreter im Bezirksvorstand der CDU Mittelhessen, Marian Zachow, sagt: „Helge ist völlig unideologisch, ganz im positiven Sinn. Ich glaube, Merkel und Braun ticken beide ähnlich pragmatisch.“