Mainz/München – Sein Lächeln, die knarzende Stimme, mit der er schwierige theologische Fragen erklärte, seine liebenswerte Zuwendung zu den Menschen: Kardinal Karl Lehmann, der gestern Morgen nach längerer Krankheit in Mainz gestorben ist, war über Jahrzehnte das Gesicht des deutschen Katholizismus. Ein authentischer und intellektueller Kirchenmann, dessen Wort große Beachtung fand. Der frühere Bischof von Mainz wurde von den Menschen geliebt, weil er ein Mensch geblieben war.
Karl Lehmann war als Ratgeber von Politikern gesucht. Aber er war auch einer, der zum FSV Mainz 05 ins Fußballstadion ging, der bei der Begrüßung in der TV-Sitzung von „Mainz bleibt Mainz“ den meisten Beifall bekam. Und der für seine liberale Haltung weder Streit im deutschen Episkopat – er war von 1987 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz – noch mit dem Vatikan scheute.
Als „Lehmann-Kirche“ wurde seine Theologie von konservativen Kirchenkreisen abqualifiziert. Weil er gegen das päpstliche Verbot künstlicher Verhütungsmittel die Gewissensentscheidung der Katholiken stellte, er mit den Bischöfen Kasper (Rottenbuch-Stuttgart) und Saier (Freiburg) vorschlug, wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen zur Kommunion zuzulassen und für den Verbleib der Kirche in der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung kämpfte.
In der Frage der Konfliktberatung nahm er heftige Auseinandersetzungen mit Joseph Ratzinger, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation und späteren Papst Benedikt XVI., in Kauf. Lehmann war davon überzeugt, die Kirche müsse im System bleiben, um Abtreibungen zu verhindern. Der Vatikan war indes überzeugt, die Kirche verdunkele mit der Beratung ihr Zeugnis, weil sie Teil des Abtreibungssystems sei. Viele Demütigungen musste Lehmann einstecken, mitunter bekam er im Vatikan nicht einmal einen Gesprächstermin. Seine lang erwartete Ernennung zum Kardinal blieb zunächst aus.
Doch die Karriere war dem Mainzer nie wichtig. Ihm ging es um die Menschen und eine Kirche des Dialogs. Als Johannes Paul II. 2001 die Bischöfe anwies, aus dem Beratungssystem auszusteigen, beugte er sich. Denn auch das war Karl Lehmann: ein loyaler Kirchenmann, der bei aller Beharrlichkeit den Gehorsam übte, den er gelobt hatte. Im selben Jahr wurde er zum Kardinal ernannt. Seine Zuversicht hat er allen Auseinandersetzungen zum Trotz nie verloren. Der Reformkurs von Papst Franziskus, zu dessen Wahl Lehmann sehr beigetragen haben soll, dürfte ihn in seinem Kirchenbild bestätigt haben.
Wie anerkannt der Theologe war, zeigen die würdigenden Stimmen am Tag seines Todes. „Er war einer der wichtigen Brückenbauer zwischen den Konfessionen und Religionen“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von „tiefer Dankbarkeit“ für langjährige Begegnungen. „Er hat mich mit seiner intellektuellen und theologischen Kraft begeistert und war dabei immer auch ein Mensch voll bodenständiger Lebensfreude.“
Mit Betroffenheit nahm die Deutsche Bischofskonferenz die Nachricht vom Tod Lehmanns auf. „Ein großer Theologe, Bischof und Menschenfreund geht von uns“, sagte Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Bischofskonferenz und Münchner Erzbischof. „Die Kirche in Deutschland verneigt sich vor einer Persönlichkeit, die die katholische Kirche weltweit wesentlich mit geprägt hat.“ Auch die evangelische Kirche trauert: Durch seine „herausragende theologische Kompetenz, gepaart mit einem weiten Herzen“, habe er die Ökumene entscheidend vorangebracht, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. „Wir werden ihn alle sehr vermissen.“