Merz, Koch, Rühe, Röttgen: Kein Tag vergeht mehr in der CDU, ohne dass eine ihrer Ex-Größen mit der Kanzlerin abrechnet. Sie habe die Partei „inhaltlich entleert“, „emotional und politisch“ zugrunde gerichtet, den größten Vertrauensverlust in der Geschichte zu verantworten. Die harten Worte sind nicht falsch, aber wohlfeil: Jetzt, wo jeder JU-Kreisfunktionär ungestraft sein Mütchen an Angela Merkel kühlen darf, machen auch die Altvorderen den Mund auf. Die, auf deren Mahnung es schon vor zwei, drei Jahren angekommen wäre, als die Kanzlerin vollends die Orientierung verlor – und mit ihr die Partei, die ihrer Chefin auf gespenstischen Parteitagsinszenierungen huldigte. Doch damals überwog die Angst vor dem Kaiserinnenthron.
Dem Kontrollverlust der Kanzlerin in der Migrationspolitik folgt jetzt der Kontrollverlust der Parteivorsitzenden über ihre CDU. Sie wolle „dem Land dienen“, entgegnet Merkel, aber es klingt müde und erschöpft. Und einsam. Nur noch ihr Bauchredner Peter Altmaier verkündet im TV skurrile Durchhalteparolen („Wir haben einen sehr guten Koalitionsvertrag. Mit dem sind auch alle in der CDU zufrieden.“). Als Letzte haben sich die Verehrer ihrer Willkommenskultur von der Kanzlerin abgewandt. Wenn die 63-Jährige ihrem Land und ihrer Partei wirklich noch einen Dienst erweisen will, stellt sie jetzt die Weichen für den Übergang. Sie muss ihre möglichen Nachfolger in Ämter und Funktionen bringen, nicht die ausgelaugten Gröhes, Kauders, von der Leyens und wie die Vasallen des Systems Merkel alle heißen – auch auf die Gefahr hin, dass ihr damit Konkurrenten erwachsen.
Natürlich hält die Regierungschefin öffentlich an ihrem Anspruch fest, noch mal über die volle Vier-Jahres-Distanz zu gehen (es sind ja eigentlich nur noch dreieinhalb). Sonst wäre sie sofort eine lahme Ente. Aber die Idee, dass Merkel wirklich bis zum allerletzten Tag das Land regiert, ist so abenteuerlich wie die Vorstellung, dass die CDU schon so lebensmüde ist, dass sie ihren nächsten Kanzlerkandidaten ohne Amtsbonus in die Wahlschlacht schickt.
Georg Anastasiadis
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