München – Das ganze Chaos offenbarte sich vor einer Woche, als Martin Schulz mit eisigem Lob dazu ansetzte, Noch-Außenminister Sigmar Gabriel aus dem Amt zu verdrängen. Der reagierte bekanntermaßen eingeschnappt und sagte eine Reihe von Terminen ab, auch seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein kleiner Paukenschlag war das: die Siko ohne deutschen Chefdiplomaten, das gab es seit Jahren nicht.
Nun hat sich die Sache gewendet: Schulz ist raus – und der nicht mehr schmollende Gabriel kommt doch nach München. Trotzdem ist am Ende nicht alles gut: Wer als Siko-Gast das deutsche Regierungsbildungs-Chaos verdrängt hatte, wusste spätestens jetzt Bescheid.
Während also 600 Gäste, darunter 20 Staats- und Regierungschefs sowie 75 Außen- und Verteidigungsminister, nach München reisen, tritt das wichtigste Land Europas mit einer geschäftsführenden Regierung an. Es kommen unter anderem: Der angeschossene Sigmar Gabriel, Innenminister Thomas de Maizière, der seinen Rückzug angekündigt hat, und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die die Eröffnungsrede hält und immerhin gute Chancen hat, ihren Posten zu behalten.
Klingt suboptimal, ist auch so. Zwar betont Kanzlerin Angela Merkel stets, außenpolitisch sei die Bundesregierung voll handlungsfähig. Aber angesichts der Tatsache, dass die Zukunft Europas in der Welt ein Kernthema sein soll, hätte sich Siko-Organisator Wolfgang Ischinger sicher ein stabileres Teilnehmerfeld gewünscht. Immerhin wird sich Sigmar Gabriel großer Aufmerksamkeit sicher sein können, wenn er am Samstag über Europa spricht. Kontroverse Reden dazu sind auch von Großbritanniens Regierungschefin Theresa May und von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz zu erwarten.
Natürlich dreht sich nicht alles um Europa. Auch die US-Außenpolitik wird ein zentrales Thema der Konferenz sein. US-Präsident Donald Trump kommt zwar nicht selbst, dafür sein Sicherheitsberater Herbert R. McMaster sowie Verteidigungsminister James Mattis. Sie werden die Außenpolitik ihres Chefs erklären müssen, zu der neuerdings auch die Entwicklung kleiner Atomwaffen gehört. Überhaupt gilt die nukleare Aufrüstung als zentrales Thema: mit Blick auf den Nordkorea-Konflikt. Und auf die Frage, ob die Leitsysteme nuklearer Waffen gegen Manipulationsversuche gesichert sind. „Es gibt den begründeten Verdacht, dass sie es nicht sind“, sagte Ischinger unlängst.
Die starke US-Delegation wird in München auch auf einen Nato-Partner treffen, mit dem es zuletzt nicht so leicht war: die Türkei. Seit der türkischen Militär-Operation gegen die kurdische YPG-Miliz sind die Beziehungen zu den USA kühl, manche befürchten gar einen offenen Konflikt. Möglich, dass Ministerpräsident Binali Yildirim und Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Gelegenheit zum privaten Gespräch nutzen.
Eine zentrale Rede, wie sie im vergangenen Jahr etwa US-Vizepräsident Mike Pence hielt, zeichnet sich nicht ab. Allerdings liegt „der eigentliche Wert der Veranstaltung“, wie Ischinger sagt, ohnehin in den informellen Treffen am Rande. Hier wird, ganz undiplomatisch, Klartext gesprochen, ohne dass es nach außen dringt. So soll es heute Abend in einem der vielen Räume des Bayerischen Hofs zu einem Treffen zum Ukraine-Konflikt kommen. Mit dabei: Sigmar Gabriel, Russlands Außenminister Sergej Lawrow sowie die Kollegen aus Frankreich und der Ukraine.
Und es wird auch ein Debüt geben: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat sich angekündigt, zum ersten Mal. Für ihn mag das eine Gelegenheit sein, inmitten der Korruptionsaffäre um ihn kurz Luft zu holen. Interessant ist sein Kommen mit Blick auf die komplizierte Lage im Nahen Osten. Mit den Außenministern aus dem Iran und Saudi-Arabien, Mohammad Sarif und Adel al-Jubeir, sind zwei weitere Akteure der Krisenregion in München.
Während Deutschland übrigens geschäftsführende Minister schickt, kommt aus den USA ein Teil der alten Obama-Garde: Ex-Außenminister John Kerry und Ex-Vize-Präsident Joe Biden. Letzterer wird die Laudatio auf Senator John McCain halten, der den diesjährigen Ewald-von-Kleist-Preis erhält. Ob er selbst kommt, ist aber offen.