Tollhaus SPD

von Redaktion

Schulz gestürzt, Gabriel isoliert, Nahles beschädigt: Das Publikum staunt über die Kabale

Berlin – Er hat Berlin erstmal verlassen und wird vielleicht nie wieder oben im kleinen Kämmerlein des SPD-Vorsitzenden im Willy-Brandt-Haus nächtigen. Martin Schulz hat gekämpft wie ein Löwe für eine rote Handschrift im Koalitionsvertrag mit der Union. Der SPD-Chef wollte als Außenminister diesem Bündnis den Stempel aufdrücken. Stattdessen ist er nur noch einfacher Abgeordneter. Während Schulz am Wochenende schweigt, wettert seine Schwester Doris Harst via „Welt“ gegen die „Schlangengrube“ Berlin. „Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock für alles.“ Ihr Bruder sei belogen und betrogen worden.

Womöglich wird Schulz nun nicht erst nach dem SPD-Mitgliedervotum über die Große Koalition den Vorsitz an Andrea Nahles abgeben, sondern bereits am Dienstag. Eigentlich wollten Nahles und Schulz gemeinsam auf sieben Regionalkonferenzen für ein Ja zur GroKo werben. Auch das steht nun zur Disposition. Statt mit stolzer Brust ob der Verbesserungen bei Pflege, Rente und Bildung, dem Erringen von Finanz-, Außen und Arbeitsministerium sowie drei weiterer Ressorts bei den 463 000 Mitgliedern um eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit CDU/CSU zu werben, herrscht Schockstarre.

Geht die am 20. Februar startende Abstimmung schief und es kommt zur Neuwahl, muss die SPD um ihre Existenz fürchten. So oder so wird die SPD mächtig sparen müssen: Ein Parteitag im Dezember, ein Sonderparteitag, der grünes Licht für die Koalitionsverhandlungen gab, im Januar. Nun der Mitgliederentscheid. Spätestens im Mai ein weiterer Sonderparteitag, der Nahles zur SPD-Chefin wählen soll. Das kann alles vier bis fünf Millionen Euro kosten. Dazu gibt es wegen des Wahlergebnisses deutlich weniger Geld aus der Parteienfinanzierung.

In ganz Europa wird das Drama aufmerksam registriert. In Anlehnung an die Kunstfigur von David Bowie schreibt die italienische Zeitung „La Repubblica“, Schulz sei der „Ziggy Stardust“ der deutschen Politik. „Der Alien, der vor einem Jahr von Brüssel nach Berlin katapultiert wurde und wie ein Gott einer führungslosen Partei gefeiert wurde. Er wurde in tausend Stücke gerissen.“ Er sei der „perfekte Sündenbock“ für eine Partei, die seit zehn Jahren in der Identitätskrise stecke.

Nahles und ihr neuer starker Partner Olaf Scholz, der Vizekanzler und Finanzminister werden soll, müssen sich aber fragen lassen, welche Rolle sie beim Schulz-Plan gespielt haben. Sie unterstützten die Idee, dass Schulz nach dem Außenministerium greift und Sigmar Gabriel, den beliebtesten SPD-Politiker, ausbootet. Dieser machte aus seinem Herzen keine Mördergrube – und nahm sich damit wohl endgültig selbst aus dem Spiel. Vor allem das Instrumentalisieren seiner Tochter (Schulz nannte sie „den Mann mit den Haaren im Gesicht“) wird ihm in der Partei als Boshaftigkeit ausgelegt. Nahles wie Scholz sind ohnehin beide mit ihm durch: Als SPD-Chef zerschlug er viel Porzellan, Nahles litt als Generalsekretärin unter ihm. Und jetzt dieses Interview.

Bleibt die Frage nach den Alternativen: Als Kandidaten werden jetzt unter anderem der bisherige Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Katarina Barley gehandelt. Dabei wird vieles auf Andrea Nahles ankommen. Zwischendurch war sie noch daheim in der Eifel und feierte Karneval. Verkleidet als Clown. Es sind tolle Tage bei der SPD. Georg Ismar

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