Barcelona/München – Auch der Winteranfang vermochte die Gemüter in Katalonien nicht abzukühlen. Als „Faschistin“ wurde Inés Arrimadas beschimpft, als sie in Barcelona im feinen Stadtviertel Les Corts ihre Stimme abgab. „Geh zurück nach Hause, du bist keine Katalanin“, musste sich die in Andalusien aufgewachsene Spitzenkandidatin der liberalen Partei Ciudadanos neben weiteren Hasstiraden und lauten Pfiffen auch anhören. Bei der regionalen Parlamentsneuwahl in der spanischen Konfliktregion ist die 36-Jährige größte Hoffnungsträgerin derjenigen, die dem Separatismus nach monatelanger Krise endlich ein Ende setzen wollen.
Hoffnung gibt es – auf beiden Seiten. Arrimadas versicherte, die Verfechter der Einheit Spaniens und vor allem Ciudadanos würden bei der Wahl die Früchte ihrer Arbeit ernten. Der Ende Oktober abgesetzte separatistische Regionalpräsident Carles Puigdemont machte währenddessen seinen Anhängern von Brüssel aus Mut. Die Unabhängigkeitsbefürworter würden die „Stärke eines unbeugsamen Volkes“ unter Beweis stellen. Der 54 Jahre alte Spitzenkandidat der Allianz JuntsxCat (Gemeinsam für Katalonien) hatte sich Ende Oktober nach Belgien abgesetzt, um einer Festnahme zu entgehen.
Die Zentralregierung in Madrid, die Puigdemont nach einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum und einem Abspaltungsbeschluss absetzte, die Neuwahl ausrief und Katalonien unter Zwangsverwaltung stellte, setzt auf eine baldige „Rückkehr zur demokratischen Normalität“, wie sich Ministerpräsident Mariano Rajoy dieser Tage ausdrückte. Doch die Katalanen haben einen steinigen Weg vor sich: Die Regionalwahlen brachten kein klares Ergebnis.
Arrimadas’ Liste holte zwar die meisten Stimmen, aber es scheint aussichtslos, dass sie auch regieren kann, weil ihre möglichen Koalitionspartner nur schwach abschnitten. Die separatistischen Parteien konnten insgesamt ihre knappe Mehrheit im Regionalparlament verteidigen. Es ist nun unklar, wie sich eine Regierung bildet – und wie diese überhaupt aussieht. Denn auch die Unabhängigkeits-Befürworter sind untereinander teilweise zerstritten. Klar ist nur: Ministerpräsident Rajoy ist einer der Verlierer. Seine konservative Partei „Partido Popular“ verlor sieben Sitze und kommt nun auf nur noch vier Mandate in Katalonien – ein herber Rückschritt.
„Fängt denn alles wieder von vorne an?“, fragte sich ein Journalist im spanischen Fernsehen. Lange, komplizierte und emotionsgeladene Koalitionsverhandlungen scheinen vorprogrammiert. Und alles unter Zeitdruck. Denn die Uhr tickt: Gibt es innerhalb der vorgegebenen Fristen etwa bis Mitte April keine neue Regierung, müsste Ende Mai oder Anfang Juni wieder neu gewählt werden.
Auch an der Wirtschaft ist die anhaltende Unsicherheit ablesbar. Mehr als 3000 zum Teil sehr wichtige Unternehmen verlegten ihren Sitz aus der wirtschaftsstarken Region heraus, zigtausende Touristen blieben weg und die ausländischen Investitionen gingen um mehr als 70 Prozent zurück. Die Gesellschaft ist polarisiert, ganze Familien sind zerstritten. Jeder in Katalonien weiß, was die Stunde geschlagen hat. Deshalb bildeten sich auch zum Teil sehr lange Schlangen vor den Wahllokalen. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 82 Prozent – ein sehr hoher Wert in Spanien für einen Werktag.
Eines haben alle gemeinsam: Ob „Independentistas“ oder „Unionistas“ – die Katalanen sind empört, besorgt, ratlos. Diejenigen, die optimistisch in die Zukunft blickten, werden auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Die Wahl würde „das katalanische Problem nicht lösen“, schrieb der Journalist Enric Hernández schon kürzlich in einer Kolumne. Dazu reichten die Wurzeln des Konflikts zu tief.