Die Situation ist bizarr: Deutschland hat keine richtige Regierung, aber ein überbesetztes Parlament, das derzeit vor Langeweile nicht mehr ein noch aus weiß. Ein bisschen Routine verrichten die 709 Abgeordneten, während sie auf eine neue Bundesregierung warten, die sie stellen oder kontrollieren können. In dieser Lage, für die er nichts kann, setzt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble einen klugen Vorstoß: Er erhöht den Druck, das Wahlrecht umzubauen. Das kann nur ein Ziel haben: die ausufernde Zahl der Abgeordneten, von denen 410 nur durch Parteikungelei auf Listen gewählt sind, einzudämmen auf ein arbeitsfähiges und bezahlbares Ausmaß.
Schäuble packt damit die Hausaufgaben an, die in der vorangegangenen Legislaturperiode vorsätzlich und mit ein paar faulen Ausreden liegen gelassen worden waren. Wenn der Bundestag die Wochen der politischen Apathie nutzt, um sich selbst zurechtzustutzen, wäre das ein weiser Akt, auch ein Signal an die Wähler. Je später die Abgeordneten dieses unter ihnen unbeliebte Projekt angehen, desto unwahrscheinlicher wird es: Kurz vor der Wahl wächst ja die Angst, sich mit einer Kürzung das eigene Mandat wegzustreichen. Jetzt schon ist erstes Wimmern zu vernehmen, ob man die Reform nicht erst zur übernächsten Legislaturperiode 2025 greifen lassen solle (was völlig indiskutabel wäre). Nur Mut! Wer den Bundestag verkleinern will, braucht Tapferkeit vor dem Parteifreund. Schäuble ist das zuzutrauen.
Christian Deutschländer
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